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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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vergessen, dass Simone zum Essen kommt . wegen diesem entsetzlichen Drama . Meine Nachbarin ist nämlich ermordet worden!«, ruft sie Simone zu.
    »Der Transvestit?«, schreit Simone. »Wie grauenvoll! Du musst unbedingt deine Schlösser auswechseln lassen!«
    »Und ich muss gehen«, erkläre ich, während ich mich erhebe. »Und nochmals vielen Dank für alles.«
    Unter Simones forschendem Blick verabschiede ich mich. Bei diesem Mittagessen wird es sicher nicht an Gesprächsstoff mangeln …
    Die Sonne steht hoch am Himmel. Unvorstellbar, dass es gestern geregnet hat. Von weißem Schaum gekrönte Wellen brechen sich an dem mit Algen übersäten Strand. Der Wind ist stärker geworden. Auf dem offenen Meer rast ein Boot mit Außenbordmotor vorbei. Langsam hebt ein Flugzeug ab. Ich kann das Emblem der TWA erkennen. Vielleicht fliegt es nach New York.
    Neulich abends habe ich mir mit Linda eine Fernsehsendung über Transsexuelle angesehen. Unter anderem ging es auch um Transsexuelle, die sich in der vierzehnten Straße von New York prostituieren. Nicht gerade erfreulich. Alles Typen wie ich, in den verschiedenen Stadien der Umwandlung: Zwitter, Operierte oder einfach nur Transvestiten. Ich habe angefangen, mir einen hübschen kleinen Busen wachsen zu lassen, doch dann musste ich wegen Geldmangels aufhören. Wenn ich genug Geld habe, werde ich die Behandlung fortsetzen und mich operieren lassen. Dann werde ich auch offiziell eine Frau sein. Ich werde mir alle Klamotten kaufen, die mir gefallen, und sie hoch erhobenen Hauptes tragen, weil ich endlich das Recht dazu haben werde. Das ist meine Lieblingsvorstellung, sobald ich das nötige Geld aufgetrieben habe und operiert bin. Das Flugzeug steigt weiter am Himmel auf, es hinterlässt eine deutliche weiße Spur.
    Wie machen es nur die Leute, die sich ertränken, indem sie einfach geradewegs ins Wasser gehen? Wie machen sie es, dass sie nicht anfangen zu schwimmen? Sie ähneln dir, flüstert mir meine böse kleine Stimme zu.
    Ich überquere die Straße und kaufe mir an der Promenade einen Hamburger. Solange ich das Geld von Diana und Johnny noch nicht ausgegeben habe, brauche ich auch nicht anfangen zu arbeiten. Ich muss keine Angst haben, wenn ich in das Auto eines Unbekannten steige, muss mich nicht mit Idioten herumstreiten, die kein Präservativ benutzen wollen. So bekommt wenigstens mein Körper jene Ruhe, die meine idiotische Seele verweigert.
    Ich kaue an dem Hamburger herum und registriere kaum die Leute um mich. Ich kann nicht aufhören, an Maeva zu denken; an den Mord, an den blöden Pastor. Was kann nur geschehen sein? Ob die Polizei über den mysteriösen mitternächtlichen Besucher Bescheid weiß? Denn der, so scheint mir, wäre verdächtiger als ich.
    Ein Satz von Louisette kommt mir wieder in den Sinn: »Sie hatte mir ihren Schlüssel gegeben, für alle Fälle … aber ich wollte nicht aufsperren . Ich habe die Polizei gerufen.« Ich muss zu ihr gehen und sie um den Schlüssel bitten. Ich muss den Ort des Verbrechens sehen. Und meinen Namen an der Wand. Vielleicht gibt es irgendetwas, das mir weiterhilft, einen Hinweis, den die Polizei nicht zu deuten wusste.
    Ich laufe zurück zu Louisettes Haus, die Treppe hinauf und läute an ihrer Tür. Geräusche dringen aus dem Innern der Wohnung. Ich rufe meinen Namen durch die geschlossene Tür. Eine Küchenschürze um die Taille und mit vollem Mund, öffnet sie mir. Am Tisch sehe ich Simone hinter einer halb geleerten Flasche Burgunder sitzen. Ich erkläre Louisette mein Anliegen. Sie nickt, geht wortlos zum Büfett, sucht in einem weißen Schälchen in Form eines Fischs und kommt mit einem flachen Schlüssel zurück.
    »Was ist denn los?«, ruft Simone und verrenkt sich den Hals, um besser sehen zu können.
    »Nichts. Es ist nur ein Nachbar. Ich komme gleich. Und wenn die Polizei wieder kommt?«, fragt sie leise und knetet ihre Schürze zwischen den von Arthrose verformten Fingern.
    »Ich werde sagen, dass Maeva mir einen Schlüssel gegeben hat, machen Sie sich keine Sorgen. Bis gleich.«
    Sie schließt die Tür hinter mir.
    Das Treppenhaus ist verlassen. Auf allen Stockwerken hört man den Ton der Fernseher. So leise wie möglich öffne ich die Wohnungstür und schleiche mich hinein. Die Vorhänge sind zugezogen, aber es ist hell genug, so dass ich alles erkennen kann. Ich atme tief ein. Dunkle Spuren beflecken die Wände des kleinen Eingangs. Ein durchdringender Geruch steigt mir in die Nase. Jodhaltig. Ist das der

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