Sein anderes Gesicht
Menschen uns aufsetzen!
Ein fleckiger Fliesenboden. Was war auf der anderen Hälfte des Fotos zu sehen?
Bull, das Auge am Sucher, fotografiert ein Zimmer voller Blut. Schnell, schnell, Bull. »Er« kann jederzeit zurückkommen. Schnell, bring die Fotos zur Polizei, kassier die Belohnung. Aber nein, keine Zeit, gerade mal so viel Zeit, um mit einem Baseballschläger zu Tode geprügelt zu werden. Gerade so viel Zeit, um zu sehen, wie dein Freund Johnny sich lächelnd über dich beugt, weil er sich freut, dich zu töten. Bull, dieser Idiot, genauso unvorsichtig wie Blaubarts Frau, zu schwerfällig und geschwätzig.
Und du, mein von ganzem Herzen geliebter Johnny, mein von meinem gequälten Herzen geliebter Johnny, du versteckst dich unten im Fahrradkeller, wartest, bis jemand die Leiche entdeckt, und tust dann so, als ob du gerade nach Hause kämst. Alles läuft bestens für dich, du räumst alle Hindernisse aus dem Weg. Wie Maeva. Maeva, deren einziger Fehler es war, zur falschen Zeit am falschen Ort aufgetaucht zu sein. Weil du besoffen bist, lädst du eine alte Transe auf ein Glas ein, und an dem Abend, an dem du auf Marlene losgehst, wen siehst du da in der Fahrerkabine eines Lkws?! Ob sie dich wohl wieder erkannt hat? Könnte es sein, dass sie sich später an dich erinnert? Du kannst dieses Risiko nicht eingehen. Ihr seid zwei Wochen zuvor etwas trinken gewesen, da ist es doch völlig normal, dass man mal anruft, um ein bisschen zu plaudern, oder? Du nimmst den Hörer, du umschmeichelst sie ein wenig, und dann sagt sie, naiv und vertrauensselig wie sie war: Komm doch vorbei, mein Lieber. Das bedeutete das Ende für Maeva.
Und die alte Louisette? Hatte sie dich bei Maeva gesehen? Kein Problem. Adieu, Louisette. Doch das war umsonst, denn sie hatte noch Zeit, mit dem Pastor zu sprechen. Das ist es, Bo, du hoffst jetzt am besten auf den Pastor .
Ich bin unsäglich müde. Ich möchte meine Finger in die Wunde auf meinem Kopf tauchen, mein erschöpftes Gehirn packen und es wie einen Schwamm ausdrücken, es von all diesem Schmutz, der Angst, der Anspannung säubern. Meine Gedanken entgleiten mir. Sie wirbeln umher wie Irrlichter auf einem Friedhof.
Und der Tahitianer? Welche Rolle spielt Maevas Sohn in dieser Geschichte? O nein, was war ich bloß für eine Idiotin! Er hat es dir doch selbst gesagt, Bo, erinnere dich: »Das werde ich dir heimzahlen.« Robert Makatea, dem der Pastor erzählt hat, dass mein Name an der Wand stand. Robert, der beschlossen hat, für Gerechtigkeit zu sorgen, indem er den Mörder seines Vaters umbringt: mich, das Miststück. Deshalb hat Maeva sich auch damals in der Nacht versteckt, als Stephanie und sie ihm begegneten. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn sie sieht. Sie schämte sich. Doch warum will er, der auf seinen Transvestiten-Vater so wütend war, sich rächen? Das ist eine der Fragen, auf die ich wahrscheinlich nie eine Antwort bekommen werde.
Und wenn er doch der Mörder ist? Wenn dieser Raum nur eine weitere absonderliche Facette von Johnnys Wesen ist? Ein Ort, der seine Seele widerspiegelt: düster und kalt und ohne Liebe.
Ich versuche es mir mit aller Macht einzureden.
Wenn Bull Robert Makatea fotografiert hat, dann deshalb, weil Derek ihn damit beauftragt hat. Mein kleines Gedankenspiel von vorhin könnte also stimmen. Robert, der von dem unwiderstehlichen Drang zu töten besessen ist - ausgelöst durch ein schweres Trauma, das er erlitt, als er erfuhr, dass sein Vater ein dicker, heiterer Transvestit ist -, mordet wahllos: Prostituierte, Marlene, Derek, seinen eigenen Vater, Bull und Louisette. Und dann bin ich an der Reihe, weil er sich in mich verliebt hat und dieser Regung, die seiner Ansicht nach widernatürlich ist, nicht nachgeben will. Glücklicherweise sperrt Johnny mich ein und rettet mich auf diese Weise vor dem unstillbaren Tötungsverlangen Roberts. Der Pastor schießt Robert mit einer Armbrust nieder. Johnny und ich heiraten und bekommen viele kleine, zwei schwänzige Monster. Ende der Geschichte. Das Publikum applaudiert. Ach nein, das habe ich mit der Erde, die auf mein Grab prasselt, verwechselt.
Scheißescheißescheißescheiße .
Mir tut der Schädel weh. Ich glaube, das ist weniger auf die Kopfverletzung zurückzuführen als auf mein unwiderstehliches Verlangen, einfach loszuheulen. Als Kind tat mir immer der Schädel weh. Am liebsten hätte ich ihn mit einem Dosenöffner aufgemacht und den Kummer und die Wut herausgeholt. Die Angst. Doch das war nicht
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