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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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der Lampe und sage:
    »Johnny. Ich bin's, Bo.«
    »Entschuldigen Sie, Sie müssen sich irren. Ich heiße Jeröme Klein.«
    Er will sich wohl über mich lustig machen! Entschlossen gehe ich auf ihn zu.
    »Johnny, hör auf damit, wir müssen reden.«
    Versöhnlich hebt er die Hand.
    »Hören Sie, Mademoiselle, ich glaube, Sie verstehen mich falsch. Ich nehme an, Sie sind auf der Suche nach meinem Bruder, nicht wahr? Jonathan?«
    Ach, und jetzt will er die Nummer mit dem Zwillingsbruder abziehen! Ich spüre, wie ich wütend werde, und mache noch einen Schritt auf ihn zu. Ich bin gerne bereit, ihm alles zu glauben, aber er sollte es mit seinen Märchen besser nicht zu bunt treiben.
    Ich stehe jetzt direkt vor ihm. Und sehe seine Augen. Sie sind dunkel. Ruhig. Es ist keinerlei Gefühlsregung in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen. Werde ich langsam verrückt? Ohne überzeugt zu sein, murmle ich noch einmal: »Johnny.«
    »Treten Sie ein«, sagt Jeröme Klein liebenswürdig. »Drinnen lässt es sich besser reden.«
    Ich folge ihm. Dicker, cremefarbener Teppichboden, ebenfalls cremefarbene Chesterfield-Sessel und ein dazu passendes Sofa, niedrige Glastische, eine Louis-XVI-Anrichte. Ein gut bestückter Getränkewagen, auf den er mit der Ungezwungenheit des Hausherrn zugeht.
    »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Einen Whisky, bitte.«
    Ich fühle mich dumm. Ich bin sicher, dass er Johnny ist, aber ich kann schließlich nicht den ganzen Abend damit verbringen, immer wieder seinen Namen zu sagen. Und er spielt diese Komödie wirklich perfekt. Man könnte meinen, er hätte mich nie zuvor gesehen! Kein verräterisches Funkeln in den Augen, und nicht ein Hauch von Ironie umspielt seine Lippen. Jeröme schenkt mir das Glas randvoll mit Whisky ein - »ohne Eis, danke« - und reicht es mir, wobei er auf einen Sessel deutet. Ich setze mich. Und was mache ich jetzt?
    Er schenkt sich einen Wodka ein und nimmt mir gegenüber Platz. Ich betrachte die mit seinem Monogramm bestickten Hausschuhe: J K. Johnny als Kellner, Johnny in Hausschuhen . Welche Metamorphose erwartet mich als Nächstes?
    »Rauchen Sie?«, fragt er mich und reicht mir ein silbernes Etui.
    »Nein, danke.« »Stört es Sie, wenn ich eine Zigarre rauche?«
    »Ganz und gar nicht.«
    Was für eine schwachsinnige Konversation! Am liebsten würde ich lauthals schreien: Ich weiß, dass du Johnny bist! Während er an seiner Havanna zieht, starrt er mich unverwandt an. Ich sage mir, dass es nicht sonderlich schwierig ist, die Identität zu wechseln; darin bin ich schließlich Expertin. In diesem Fall braucht man farbige Kontaktlinsen, eine braune Perücke, einen falschen Bart. Doch alles muss von erstklassiger Qualität sein, sonst fliegt der Schwindel gleich auf. Zweifel beschleichen mich. Jeröme Klein bläst eine Wolke wohlriechenden Rauchs in meine Richtung.
    »Wie war doch gleich Ihr Name?«
    Okay, du willst spielen, gut, dann spielen wir.
    »Man nennt mich Bo.«
    »Ein eigenartiger Name für eine Frau.«
    Er moduliert den Satz genauso wie Johnny, doch er benutzt seine Stimme nicht auf die gleiche Art. Er spricht leiser, salbungsvoller. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass Johnny vielleicht schizophren ist. Eine gespaltene Persönlichkeit . Das würde seine zwei Wohnungen, seine zwei Gesichter erklären. Ich tue so, als würde ich auf diesen Wahnsinn eingehen und frage ihn:
    »Ist Jonathan da?«
    »Nein, er ist ausgegangen.«
    Lügner!, will ich rufen. Ich habe ihn ins Haus gehen, aber nicht wieder herauskommen sehen, denn du bist er!
    »Mit dem Fahrstuhl kann man direkt in die Tiefgarage fahren, das ist sehr praktisch«, fährt »Jeröme« fort und nippt an seinem Wodka.
    Also hätte ich Johnny doch verpassen können. Aber warum versucht er, mir das einwandfrei zu beweisen, wenn er mich nicht unbedingt glauben machen will, dass ich ihn tatsächlich verpasst habe? Bo, meine Liebe, du stehst vor einer schwierigen Aufgabe. Klein deutet auf die Kristallkaraffe und fragt:
    »Noch einen Whisky?«
    »Nein, danke, ich fürchte, der Alkohol steigt mir schon zu Kopf.«
    Er lächelte mich freundlich an, während er sich nachdenklich durch den Bart fährt.
    »Ich hoffe, mein Bruder hat nicht irgendeine Ungezogenheit begangen .«
    Nein, wo denkst du hin! Er hat mir nur erst kürzlich den Arm gebrochen und mit meiner besten Freundin, einem dicken Transvestiten, geschlafen. Hör auf, Bo. Jeröme existiert nicht, du sprichst gerade mit Johnny, der sich gründlich über dich lustig

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