Sein anderes Gesicht
ist er hier irgendwo, ganz in meiner Nähe? Der Gedanke, ihn möglicherweise zu finden, ist das Lockmittel, mit dem ich vor meinem geistigen Auge hin und her wedele, um am Ball zu bleiben.
Und plötzlich sehe ich ihn. Im Gegenlicht. Vor dem Eingang eines luxuriösen Wohnhauses. Reglos steht er unter einer Palme und raucht. Träume ich? Nein, er ist es, sein grauer Anzug. Ich erkenne seine Silhouette, seine Haltung, doch gleichzeitig ist irgendetwas sonderbar. Ein Mann in einem marineblauen Mantel tritt aus dem Haus; sie grüßen sich. Ich mache mich ganz klein. Johnny wendet mir den Rücken zu.
Er raucht seine Zigarette zu Ende und wirft die Kippe in den Rinnstein. Er sieht auf die Uhr, so als würde er auf jemanden warten. Dann macht er auf dem Absatz kehrt, verschwindet hinter der ordentlich gestutzten Hecke, und keine zwei Sekunden später öffnet sich die verglaste Eingangstür des Hauses. Er geht hinein und durchquert eine marmorne Halle. Ich habe nicht gesehen, ob er bei jemandem geklingelt oder einen Schlüssel benutzt hat. Existiert die Frau, meine Rivalin, vielleicht doch? Wohnt sie in diesem Haus?
Die Tür lässt sich nur per Code öffnen. Nach Gutdünken tippe ich einfach ein paar Nummern ein. Sesam öffnet sich nicht. Durch die Glasscheibe kann ich die Namen der Mieter auf den Briefkästen entziffern. Kein Garnier, aber ein Vorname mit J: J. Klein. Ich verstecke mich im Schatten der Hecke, in der Hoffnung, dass bald jemand aus dem Haus kommt oder hineingeht. Mein Handgelenk schmerzt noch immer. Hoffentlich hat Marco keinen Mist gebaut! Ich lege wirklich keinen Wert darauf, mit einem Arm a la E.T. anstelle meiner hübschen Händchen durch die Gegend zu laufen.
Der Wind treibt das Laub vor sich her, es wird sicher bald ein Gewitter geben. Ich frage mich, ob ich nicht vielleicht doch geträumt, ob ich tatsächlich Johnny gesehen habe. Der nervöse Knoten in meinem Magen meint, ja. Ich warte, lange.
Ich schließe die Augen, das entspannt mich.
Ich bin schon fast im Stehen eingeschlafen, als ich beim Geräusch der sich öffnenden Tür aufschrecke. Ein großer Mann und eine zierliche Frau verlassen gerade das Haus. Er trägt einen Trenchcoat, sie einen mit Goldfäden durchwirkten Minirock. Ich zwänge mich in die Eingangshalle: »Entschuldigen Sie, Monsieur Klein, wo finde ich den?«
Der Typ brummt, dass er das nicht weiß; das Mädchen zieht ihre Nylonstrümpfe, die Falten werfen, zurecht. Ich habe Glück diesen beiden begegnet zu sein. Sie gehen einfach und lassen mich vor den Briefkästen stehen.
Auf den Briefkästen steht nicht das Stockwerk. Ich gehe die mit Grünpflanzen geschmückte Treppe hinauf, ohne auf meinen Arm oder meine Beine zu achten. Auf jedem Treppenabsatz bleibe ich stehen und lese die Namen auf den Klingelschildern. Im sechsten Stock werde ich fündig: J. Klein.
Ich presse mein Ohr an die Wohnungstür: nichts zu hören. Es ist kurz nach elf Uhr abends, ich glaube nicht, dass Johnny um diese Zeit schon schläft. Ich versuche einen Blick durch den Türspion zu werfen, was idiotisch ist. Ich würde gern mein Herz in beide Hände nehmen, doch erst einmal betätige ich mit einer Hand den Klingelknopf. Keine Reaktion.
Ich klingle ein zweites Mal. Ich glaube zu hören, wie sich auf der anderen Seite jemand auf leisen Sohlen heranschleicht. Ich klingle noch einmal und halte dabei den Kopf gesenkt, damit die Person, die durch den Spion späht, mich nicht erkennt. Die Tür öffnet sich noch immer nicht. Ich überlege zu rufen, doch wenn es nun nicht Johnnys Wohnung ist? Wenn er in diesem Haus unter einer anderen Identität lebt?
Das Flurlicht geht aus. Zur Abwechslung drücke ich jetzt auf den Fahrstuhlknopf. Sobald die Tür sich öffnet, steige ich ein, drücke auf E für Erdgeschoss und steige rasch wieder aus. Die Tür schließt sich, und der Fahrstuhl fährt -ohne mich - nach unten. Reglos bleibe ich im dunklen Flur stehen.
Nach zehn Minuten öffnet sich die Wohnungstür, und auf der Türschwelle ist im Gegenlicht eine Silhouette zu erkennen. Ein Mann steht im Flur und sieht mich an. Er hat Johnnys Gesichtszüge, seine Größe, auch die Körperhaltung ist identisch, doch sein Haar ist braun, und er hat einen braunen Bart und dunkle Augen. Außerdem trägt er einen marineblauen Hausmantel und passende Hausschuhe. Ich verstehe das nicht. Ich trete einen Schritt vor.
»Suchen Sie jemanden?«, fragt er mich.
Es ist Johnny! Seine Stimme. Was soll das Theater? Ich trete in den Lichtschein
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