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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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mit jedem Atemzug gewann er ein Stück Selbstsicherheit zurück.
    »Darf ich fragen, warum Sie mich angehalten haben?«
    »Wir haben Hinweise erhalten, dass in dieser Gegend Taschendiebe unterwegs sind. Und Sie sind uns aufgefallen.«
    Willem schaute den Polizisten verwundert an.
    »Ja, wie soll ich es sagen? Sie haben sich sehr merkwürdig verhalten. Wir hatten Sie seit der Oxford Street verfolgt, aber im Piccadilly für eine ganze Weile verloren. In der Bond Street wechselten sie ständig die Straßenseite. Sie gingen mal vor, mal wieder zurück, und schienen die ganze Zeit Selbstgespräche zu führen. Dann starrten sie den Frauen hinterher. Und wie Sie vermuten können, haben die Frauen, die in der Bond Street einkaufen, in der Regel viel Geld bei sich. Eine leichte Beute für Taschendiebe. Und im Piccadilly rannten sie plötzlich los und waren weg.«
    Willem wusste nicht, was er sagen sollte. Hatte er die Frauen angestarrt? War er wirklich im Zickzack gelaufen? Hatte er wirklich zu sich selbst gesprochen? Wenn es so war, war er sich dessen nicht bewusst gewesen.
    »Na ja. Nichts für ungut. Wir müssen jetzt weiter. Einen schönen Tag noch.«
    Zum ersten Mal sagte auch der stumme Beamte etwas: »Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte auch Willem.
    Er schämte sich in Grund und Boden. Er hatte unbeschreibliches Glück gehabt, dass die Polizisten Robin Clarkes Visa-Card übersehen hatten. Aber weit mehr beschäftigte ihn der unausgesprochene Vorwurf, dass er sich wie ein Verrückter, ein Psychopath verhalten hatte. War er wirklich dabei, merkwürdig zu werden? Er nahm sich vor, sich selbst genauer zu beobachten. Und zu Hause würde er die Visa-Card zerstückeln. Ganz sicher! Nichts dürfte von ihr übrig bleiben. Willem konnte sich gerade noch rechtzeitig in die nächste U-Bahn-Station flüchten, als ein heftiger Regenschauer niederging. Den Schirm aufzuspannen, war ihm nicht in den Sinn gekommen.

 
7
     
     
     
    Am nächsten Tag regnete es immer noch. Willem verließ am Vormittag das Haus, um, wie gewohnt, die üblichen Zeitungen zu lesen, kehrte aber schon bald in sein Ein-Zimmer-Appartement zurück, zum einen wegen des schlechten Wetters – er hatte den neuen Schirm zu Hause vergessen –, zum anderen wollte er da sein, falls Pia sich meldete. Während der Regen monoton gegen das Fenster trommelte, lag Willem auf der Couch und versuchte zu lesen. Er konnte sich aber nicht konzentrieren. Dann schaltete er den Fernseher ein, verfolgte eine halbe Stunde eine Sendung für Hobby-Gärtner, schaltete wieder aus und schlief ein. Um kurz vor sechs weckte ihn das Telefon.
    Es war Pia, gut gelaunt wie immer.
    »Na, mein Lieber, was macht das süße Leben?«
    Willem war sofort hellwach.
    »Hast du mit Nikita gesprochen?«, fragte er ungeduldig.
    »Ja, habe ich.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    »Alles.«
    »Und, wird er mitmachen?«
    »Ich glaube schon. Aber zuerst will er dich sehen. Das ist doch verständlich.«
    Willem versuchte noch zu erfahren, was Pia ihrem russischen Freund genau über ihn und seinen Plan erzählt hatte.
    Aber Pia war in Eile.
    »Ich muss in den Club. Ich bin schon spät dran.«
    Sie vereinbarten, sich am nächsten Tag zur Mittagszeit in einem Pub in Hammersmith zu treffen. Sie würde Nikita mitbringen. Willem kannte das Pub. Er war im letzten Sommer mit Pia einmal da gewesen, war sich aber nicht sicher, ob er es wieder finden würde. Sicherheitshalber ließ er sich deshalb von Pia den Weg beschreiben.
    Anschließend suchte er die Mappe heraus, in die er ordentlich alle Zeitungsausschnitte über Henry Hewitt eingeheftet hatte. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.
     
     
    Eine sanfte Brise schob die letzten Wolken am sonst strahlend blauen Himmel vorüber. Die Luft war klar. Und die Sonne tilgte die feuchten Spuren der überstandenen Regentage von den Straßen. Willem verließ in aufgeräumter Stimmung das Haus, freudig erregt, hoffnungsvoll wie vor einem Vorstellungsgespräch. Er hatte sich schon halb damit abgefunden, dass Pia den Russen in sein Unternehmen einbeziehen wollte. Er vertraute Pia, also musste er auch dem Russen vertrauen, sagte er sich. Zu dritt würde es vielleicht doch einfacher werden. Und vielleicht brauchte er sich selbst gar nicht an der eigentlichen Entführung zu beteiligen, sondern könnte sich völlig auf die Verhandlungen mit Hewitt konzentrieren. Das Geld, dachte Willem, würde sicherlich nicht zu einem Problem werden. Aus Hewitt wäre genug für alle drei

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