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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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herauszuholen. Auch hatte Neugier sein anfängliches Misstrauen gegenüber dem Russen zerstreut.
    Die Piccadilly Line ratterte von Earl’s Court mit hoher Geschwindigkeit nach Westen, unterbrach mit wiederholtem Ruck ihre Fahrt kurz in Barons Court, sauste dann polternd weiter, bremste wieder in Hammersmith überstürzt ab. Willem sprang die Stufen empor, die Mappe mit den Zeitungsartikeln über Hewitt fest unter den Arm geklemmt. In der Shopping-Mall, oberhalb der U-Bahn-Station, herrschte geschäftiges Treiben. Büroangestellte und Verkäuferinnen nutzten ihre Mittagspause für kleinere Besorgungen in den Supermärkten oder kauten auf ihren Sandwiches herum, während sie gedankenverloren in die Schaufenster schauten. Menschen aller Hautschattierungen waren darunter, beinahe mehr Nicht-Europäer als Europäer, wie in vielen Stadtteilen Londons außerhalb des Westends.
    Willem bahnte sich zielstrebig seinen Weg durch das bunte Völkergemisch. Er versuchte, sich ein Bild von Nikita zu machen. Er konnte sich aber keinen Russen vorstellen, der zu Pia passte.
    Draußen tobte der Verkehr. Die Wegbeschreibung, die Pia ihm gegeben hatte, war Willem schon wieder entfallen. Er erkannte aber die Stadtautobahn wieder, die sich in einem weiten Bogen über die breiten Straßen rund um die Shopping-Mall spann. Irgendwie musste er das Knäuel von Straßen nach Süden hin überwinden. Nur wie? Er blieb gelassen. Er wusste, er hatte genug Zeit. Seelenruhig ließ er sich von seinem Gefühl leiten. Und irgendwie hatte er es nach zehn Minuten geschafft, über Fußgängerampeln, unter Brücken und Unterführungen hindurch auf die andere Seite der Stadtautobahn zu gelangen. Von hier aus konnte es nur noch ein Katzensprung sein. Richtig. Erst rechts, dann links, dann war auch schon der Fluss zu sehen. Endlich. Am linken Haus am unteren Ende hing ein buntbemaltes Schild: »Rutland«. Er war am Pub angekommen.
    Willem schaute auf die Uhr. Er war etwa eine Viertelstunde zu früh. Sollte er reingehen und sich einen Drink holen? Willem wollte erst nach Pia und dem Russen sehen. Alle Bänke waren besetzt. Auch an der Ufermauer entlang standen zumeist junge Leute in Gruppen herum, unterhielten sich angeregt, lachten, genossen die Sonne, Unmengen von leeren Gläsern und Bierflaschen zwischen ihren Beinen.
    »Will! Hier sind wir!«
    Willem schaute sich um, versuchte Pias Stimme zu orten.
    »Will! Hier rüber!«
    An einem der spartanischen Holztische entdeckte er endlich Pia. Ganz klein und versunken saß sie da, eingerahmt von zwei bulligen Kerlen. Kein Zweifel, der linke musste Nikita sein. Sie schmiegte sich an ihn. Nervös ging Willem auf die beiden zu.
    »Will, das ist Nikita. Nikita, das ist Will.«
    Der Kerl zu Pias Rechten schien nicht zu ihnen zu gehören.
    »Ich freue mich, dich kennen zu lernen«, sagte Willem förmlich, streckte seine Hand über den Tisch aus und erhielt einen kräftigen Händedruck.
    »Setz dich!«, forderte ihn Nikita auf.
    Die Leute, die auf Willems Seite des Tisches saßen, rückten zusammen. Er nahm verlegen Platz, Nikita genau gegenüber. Genauso hatte er sich einen Russen vorgestellt, breitschultrig und mit einem bäuerlichen, unrasierten Gesicht, das blonde Haar kurz geschnitten. Er sah aber ganz und gar nicht wie ein Mann aus, der äußerlich zu der kleinen, südländischen Pia passte.
    Nikita blinzelte Willem mit seinen tief liegenden Knopfaugen zu.
    »Ich werde uns erst mal was zu trinken holen. Auch ein Lager?«
    Willem bot sich an, für die Getränke zu sorgen. Doch Nikita winkte ab. Pia und Nikita mussten schon eine ganze Weile hier gesessen haben. Ihre Pint-Gläser waren fast leer. Nikita erhob sich, Willem musterte ihn. Nikita musste beinahe so groß wie Henry Hewitt sein, aber noch kräftiger. Seine Muskelpakete zeichneten sich unter der engen Jeans und dem engen T-Shirt ab.
    »Nun, was sagst du zu meinem Prachtstück?«
    »Was soll ich sagen?«, wich Willem aus. »Sympathisch.«
    »Ich bin schon ein wenig betrunken. Ich habe gestern nicht gearbeitet und war bei Nikita. Wir sind gleich vom Bett hierher. Wir haben nicht einmal gefrühstückt.« Nach einer kleinen Pause sagte Pia: »Ist das nicht ein toller Tag?«
    Willem nickte. Nikita kam mit drei Pints Lager zurück, die fast winzig in seinen breiten Händen wirkten. Unter seinen Achseln holte Nikita eine Tüte Kartoffelchips hervor und warf sie lässig vor Pia auf den Tisch.
    »Hier, damit du mir nicht gleich betrunken von der Bank fällst.«
    Pia

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