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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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Mutter ist schon lange tot. Und mein Vater, na ja, der Wodka.« Nikita wurde sentimental. »Ich bin der verlorene Sohn ohne Rückkehr«, formulierte er etwas schief, aber eindrucksvoll.
    »Dafür habe ich dich gefunden«, sagte Pia zärtlich und küsste ihn.
    Dann sah Pia Willem an.
    »Ist das nicht toll? Einfach von solch einem riesigen Schiff ins kalte Wasser zu springen?«
    Pia schien wirklich tief beeindruckt zu sein, obwohl sie die Geschichte sicherlich nicht zum ersten Mal gehört hatte.
    »Wirklich toll!«, sagte jetzt auch Willem, um Nikita seine Anerkennung auszudrücken.
    Er dachte auch daran, dass Nikitas Waghalsigkeit bei der Entführung noch nützlich sein könnte. Er selbst – da machte Willem sich nichts vor – könnte nie Nikitas Mut aufbringen, ganz gleich in welcher Situation.
    Die nächste Runde zahlte wieder Nikita. Pia trank eine Cola, weil sie am Abend wieder tanzen müsste, wie sie zu Nikita sagte. Sie plauderten weiter über London, lobten die Pubs, beklagten die hohen Preise. Zum Abschied lud Nikita Willem für den folgenden Sonntag zu sich nach Hause ein. Er teilte sich eine Wohnung in Shepherd’s Bush mit ein paar anderen Leuten, nicht weit von Hammersmith. Er und Pia würden kochen.
    »Unser tolles Ding können wir dann ausführlich bereden«, schlug Nikita vor.
    Erst in der U-Bahn bemerkte Willem, dass er immer noch die orangefarbene Mappe mit sich herumschleppte. Sein Kopf war ganz heiß. Es lag wohl ebenso am Bier wie an der Sonne. Er war mit dem Verlauf des Nachmittags zufrieden. Er hatte sich wohl in der Gesellschaft der beiden gefühlt, behaglich, beinahe geborgen. So unterschiedlich Nikita und Pia äußerlich auch sein mochten, so schienen sie doch zu harmonieren. Beide waren offensichtlich gewillt, sich nie unterkriegen zu lassen, und sich – koste es, was es wolle – ihren Teil vom Leben zu erobern.
    Nikitas unkomplizierte Art gefiel Willem, natürlich auch, dass Nikita ihn einmal »Boss« genannt hatte. Er freute sich auf den nächsten Sonntag.

 
8
     
     
     
    Die beste Zeit, um ins »Oriel« am Sloane Square zu gehen, war zwischen vier und fünf. Dann trafen sich hier Chelseas Müßiggänger. Sie nahmen an der Bar einen Kaffee oder ein Glas Wein oder hockten ungezwungen an den kleinen Tischen. Man trug helle Cordhosen von »Hackett« oder »Cording’s«, dazu leicht abgetragene Tweedsakkos. Oder man hatte sich einen Cashmere-Pullover locker über die Schulter geworfen. Anzüge waren offensichtlich bei den Männern ebenso verpönt wie Kostüme bei den Frauen. Sie waren die Uniform der Angestellten in Banken und Agenturen, die erst nach Büroschluss im »Oriel« auftauchten.
    Sie strömten dann in Massen herein, nahmen die Bar, die Tische und auch das ganze Souterrain in Beschlag und vertrieben diejenigen, zu denen sie nur allzu gerne gehören wollten. Willem rechnete sich weder den einen noch anderen zu. Denn er hatte weder Geld noch Arbeit, sondern nur Zeit.
    Doch alles würde sich ändern. Vielleicht schon bald. Am Sonntag würde er Nikita und Pia wieder sehen, einen Plan besprechen und an den folgenden Tagen die Vorbereitungen treffen. In vielleicht schon zwei Wochen könnte alles vorbei sein. Und er hätte Zeit und Geld.
    Am Morgen hatte Willem im Telefonbuch nachgeschaut, die Privatnummer der Hewitts aber nicht gefunden, nur die Nummer von »Henry Hewitt, Asian Art & Antiques«. Er wollte sich das Geschäft ansehen, das nur ein paar Straßen vom »Oriel« entfernt war, auf der Grenze zwischen Belgravia und Knightsbridge.
    Das Geschäft lag genau an der Ecke zwischen Lowndes Street und Motcomb Street. Zu beiden Straßen gingen große Fenster, die, wie der gesamte untere Teil der Fassade, in dunklem Holz eingefasst waren. Das Geschäft war beleuchtet, also nicht geschlossen, trotz des Gerichtsverfahrens, dem sich sein Inhaber stellen musste. Willem konnte weder Hewitts silbernen BMW noch seinen blauen Range Rover in der unmittelbaren Umgebung entdecken. Die Dreistigkeit, sich in seiner gegenwärtigen Lage selbst noch im Geschäft zu zeigen, besaß Henry Hewitt offensichtlich nicht.
    Willem stieg die Stufen hinauf. Das Öffnen der Tür löste einen sanften tiefen Ton aus, der wie der Gong in einem buddhistischen Tempel klang, nur leiser. Es duftete nach exotischen Hölzern und nach etwas wie Räucherstäbchen, nur nicht so aufdringlich. Aus unsichtbaren Lautsprechern ertönte ein Violinkonzert, aber kaum hörbar. Er liebte die Atmosphäre in Antiquitätengeschäften,

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