Sein Anteil
Mutter seiner Tochter. Statt einer Antwort schüttelte sie nur mit dem Kopf. Während ihre Tochter vielleicht sieben oder acht Jahre sein mochte, hatte sie die Dreißig knapp überschritten. Dennoch wirkte sie kaum kindlicher als ihre Tochter, was vor allem an der angespannten Ängstlichkeit in ihren leicht mandelförmigen Augen lag.
Willem war neugierig. Er schlenderte scheinbar teilnahmslos weiter auf sie zu. Er konnte sie, ohne aufzufallen, im Vorbeigehen nur für einen winzigen Augenblick ansehen. Doch dieser kaum messbare Moment reichte aus, um sie ganz zu erfassen, sie ganz in sich aufzunehmen. Sie wirkte aus der Nähe noch schöner, noch reizvoller, ganz und gar vollkommen.
Ihr leichtes Make-up, das die Ebenmäßigkeit ihrer Züge betonte, ihre langen dunklen Wimpern über den grünen Augen, die dunklen Augenbrauen, die sich deutlich von ihrem blonden Haar absetzten – nichts entging ihm. Und keine Einzelheit würde er jemals vergessen.
Willem überlegte einen Augenblick, ob er nicht umkehren sollte, um sich einfach neben sie auf die Bank zu setzen. Aber er traute sich nicht. Was könnte er ihr schon sagen? Sie war Hewitts Frau! Willem ging weiter, sah noch einmal das Mädchen, das noch immer seinem Hund Befehle erteilte, die er nicht befolgte. Verwirrt eilte er nach Hause.
Er erwachte früh. Er hatte kaum geschlafen. Stundenlang hatte er wach gelegen. Seine Abneigung gegen Hewitt war noch gewachsen, seit dem Augenblick, als er Anne-Marie, die Sphinx, wie er sie seinen Gedanken nannte, im Holland Park gesehen hatte. Er musste Hewitt verletzen. Jetzt erst recht. Er verdiente es, weil er sie nicht verdiente. Willem erinnerte sich an die zahllosen Affären, die Hewitt in den Zeitungen nachgesagt wurden. Es schien ihm völlig unbegreiflich, wie er eine Frau wie Anne-Marie betrügen konnte. Sie war mehr als schön, sie war unvergleichlich, überirdisch, göttlich. Oder redete er sich alles nur ein? Er musste sie wieder sehen. Er war neugierig, ob sie die gleiche Wirkung auf ihn ausüben würde, wenn er ihr erneut begegnete. Oder war alles nur Selbsttäuschung, eine fixe Idee? Er musste sie einfach wieder sehen.
Er stieg in sein Auto und fuhr den fast halbkreisförmigen Eardley Crescent hinunter und bog an der nächsten Ecke in die Warwick Road links ein. Die Warwick Road war laut, schmutzig und hässlich und wurde rund um die Uhr vom innerstädtischen Verkehr als Tangente benutzt. Hinter der Kensington High Street schwenkte er aufs Geratewohl in die nächste Straße rechts ein. Er wusste nicht genau, wie es von hier aus weiterging. Er folgte ganz seinem Gefühl, das ihm sagte, er müsse einmal den gesamten Holland Park umfahren.
Er schlängelte sich durch einen Wirrwarr von Straßen und Sträßchen und musste wegen der vielen Einbahnstraßen manchen Umweg nehmen. Es störte ihn nicht. Er hatte fast Angst, zu früh sein Ziel zu erreichen, zu lange auf sie warten zu müssen. Zudem gehörte nach seinem Dafürhalten die Gegend rund um Holland Park zu den schönsten Teilen Londons. Zeilen mit puppenstubenartigen Häusern, alle blitzblank, wechselten sich mit freistehenden Prachtbauten ab. Den Wohlstand hier fand er gediegener als etwa in Chelsea mit seinem leicht snobistischen Touch. Er war sogar ein wenig stolz darauf, dass Anne-Marie ausgerechnet hier wohnte. Nach weiteren zehn Minuten Irrfahrt stand er in einer Entfernung von etwa einhundertfünfzig Metern vor ihrem Haus.
Es tat sich nichts. Sowohl der silberne BMW als auch der blaue Range Rover standen dort, wo sie das letzte Mal gestanden hatten. Willem kurbelte das Schiebedach auf, und ließ sich seine Stirn von der Morgensonne wärmen. Gerne hätte er jetzt eine Zigarette geraucht. Aber er hatte keine Packung dabei. Das war auch gut so. Mittlerweile rauchte er nur manchmal im Pub oder im Café, und war sehr froh, nicht mehr vom Nikotin abhängig zu sein. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach halb acht. Er war offensichtlich zu früh.
Endlich um kurz nach acht Uhr öffnete sich die blaue Eingangstür. Die Tochter sprang heraus, rannte zum Range Rover, dessen vier Blinker mit einem Jaulen kurz aufleuchteten. Im selben Augenblick erschien Anne-Marie. Sie sah bezaubernd aus. Sie trug enge Jeans, flache Ballerinas und einen hellen weiten Wollpullover. Ein rotes Tuch mit weißen Punkten hatte sie sich wie ein Stirnband um den Kopf gebunden.
Sobald das Mädchen im Fond saß, fuhr sie mit laut aufheulendem Motor los. Erst links, dann rechts, dann
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