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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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waren sie auf der Kensington High Street, die Anne-Marie Richtung Hyde Park entlang raste. Kurz vor der Royal Albert Hall nahm Anne-Marie eine scharfe Rechtskurve in den Queen’s Gate, den sie mit sicherlich über vierzig Meilen hinunter fegte, auf South Kensington zu. Dann bog sie in die Old Brompton Road verkehrswidrig rechts ein. Wiederum gegen die Verkehrsregeln fuhr Anne-Marie ihren Geländewagen mit Schwung auf den rechten Bordstein und hielt an, gegen den Verkehr und trotz eines durchgezogenen gelben Doppelstreifens auf der Fahrbahn.
    Willem fuhr über die Kreuzung hinweg, drehte seinen Wagen und blieb an der Ecke stehen. Aus der hinteren Tür auf der Beifahrerseite krabbelte Patricia hinaus, schlug mit aller Kraft die Tür zu, bevor sie in einer schmalen Gasse verschwand. Ohne dass er sie sehen konnte, ahnte Willem, wohin sie gehen würde. Am Ende der Gasse war eine Schule, deren Namen er allerdings nicht kannte.
    Wieder heulte der Motor des Range Rovers auf. Und wieder brauste Anne-Marie mit hoher Geschwindigkeit davon. Willem gefiel, wie Anne-Marie durch die Straßen raste, als ob ihr die Stadt, ja die ganze Welt, gehörte. Ganz anders als die verzagten Hühner, die sich voller Lebensangst am Lenkrad festkrallten. Gern wäre er Anne-Marie hinterher gejagt. Aber er folgte ihr nicht. Sie würde sicherlich wieder nach Hause fahren. Zudem war ihm das Risiko zu groß, von ihr in seinem ockergelben Mercedes bemerkt zu werden. Anne-Marie durfte ihn noch nicht entdecken.
    Als Anne-Marie nach der nächsten Ampel abbog, fuhr Willem nach Hause. Einen Moment blieb er im Wagen sitzen. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Ganz leise nur, dass er selbst es kaum hören konnte, flüsterte er: »Ich liebe sie.«
     
     
    Stunden später lief Willem die Gloucester Road unruhig auf und ab. Er hatte keine Ahnung, wann der Unterricht in englischen Schulen in der Regel endete. Es war halb zwei Uhr. Ein kleines Antiquariat hatte einen Tisch mit Billig-Angeboten auf dem Gehweg aufgebaut. Er vertrieb sich die Zeit damit, die abgegriffenen Taschenbuchausgaben durchzublättern. Ein paar Seiten lang folgte er einem Getriebenen und Verzweifelten durch Petersburg, eilte dann einer Zigeunerin durch das mittelalterliche Paris nach. Ein Pfund sollten die beiden Bände kosten. Dafür kann man nicht viel falsch machen, dachte Willem und kaufte sie. Er würde sie zu Hause zu den anderen stellen, die er irgendwann einmal lesen wollte.
    Kaum hatte er den Laden verlassen, sah er den blauen Range Rover die Gloucester Road herunterkommen. Willem drehte sich schnell um, um nicht gesehen zu werden. Der Wagen bog direkt am Buchladen in die Clareville Street ein. Die enge Einbahnstraße bildete einen rechten Winkel zwischen Gloucester Road und Old Brompton Road, an der Anne-Marie ihre Tochter am Morgen abgesetzt hatte. Vor der Schule, die genau im Winkel des Sträßchens lag, stauten sich die Kombis und schicken Geländewagen der Mütter, die ihre Kinder einsammelten.
    Willem schaute noch auf seine Armbanduhr, viertel nach zwei. Gerade kletterte Patricia wieder in den Fond des Wagens. Er konnte gerade noch seinen Blick an ihrem langen blonden Haar sättigen. Dann war Anne-Marie wieder verschwunden.

 
10
     
     
     
    Die Zeitungen kündigten an, dass der High Court an diesem Tag gegen den Kunst- und Antiquitätenhändler Henry Hewitt wegen Diebstahls, Hehlerei und Urkundenfälschung sowie Steuerhinterziehung Anklage erheben würde. Die Staatsanwaltschaft habe ihre Ermittlungen erfolgreich abgeschlossen. Willem grinste in sich hinein. Sollte es doch so etwas wie Gerechtigkeit in dieser Welt geben?
    Die Abendnachrichten des Fernsehens brachten die Bestätigung. Sie zeigten Hewitt, wie er beim Verlassen des Gerichts, eskortiert von zwei Anwälten, durch einen Korridor von Fotografen und Kameraleuten schritt. Doch dann folgte die große Überraschung. Auf dem Bildschirm in Willems Ein-Zimmer-Appartement tauchte Anne-Marie auf. Sie stand an dem Treppeneingang ihres Hauses. Im Hintergrund war deutlich die blaue Tür mit der 46 zu sehen.
    Sie las mit heller klarer Stimme und gefälligem französischem Akzent eine Erklärung vor, in der sie der »bösartigen Behauptung« widersprach, sie sei an diesem internationalen Schmuggel von gestohlenen oder gefälschten Kunstgegenständen beteiligt.
    »Ich bin Hausfrau und Mutter und habe seit meiner Eheschließung keine andere Tätigkeit ausgeübt. Die infamen Verdächtigungen sind für mich ein weiterer Beweis,

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