Sein Anteil
Werkzeugkästen herum. Er fand eine Rolle Isolierband und eine Drahtschere, genau das, wonach er suchte. Beides verstaute er in einer der beiden Reisetaschen. Eigentlich waren es Sporttaschen, aus einer Art Baumwollstoff oder Leinen, schwarz mit der weißen Aufschrift »Chelsea Health Club«. Erneut begann der Aufstieg zu Pias Dachwohnung.
Oben angekommen, ließ er die beiden Taschen in der Küche fallen. Der Raum sah verändert aus. Pia hatte aufgeräumt. Die Fenster standen weit auf, die Tassen und vollen Aschenbecher waren vom Tisch verschwunden. Der geblümte Vorhang hinter ihm war sorgfältig zugezogen. Es war beinahe so, als gäbe es Nikita gar nicht mehr. Aber Willem wusste, dass er noch da war, kalt und tot. Er durfte jetzt nicht an ihn denken. Er durfte sich keine Schwäche erlauben.
Pia stand von der Couch auf, ging zur Küche und kam mit einer der beiden Taschen zurück, die sie mit beiden Händen trug, und ließ sie vor Willems Füße fallen. Dann brachte sie auch die andere Tasche, die ebenfalls direkt vor ihm landete.
»Will, schau doch mal da rein!«
»Ich weiß, da ist das Geld drin, die dreihunderttausend Pfund Lösegeld.«
»Na-hein«, sang Pia. »Du irrst dich.«
»Warum?«
»Es sind eine Mill-jo-hon«, zwitscherte Pia wieder.
»Bist du sicher?«
Willem war kurz davor, seine Arme hochzureißen und aufzuspringen vor Freude.
»Ganz sicher nicht. Aber wir können es ja zählen.«
Pia machte sich über die erste Tasche her, schüttete den Inhalt über den Tisch aus. Dicke Geldbündel fielen heraus, teilweise auf den Boden. Mit der zweiten Tasche machte sie das gleiche. Ein Berg von Geld türmte sich vor Willems Augen auf. Doch nur wenige Bündel trugen Banderolen. Die meisten wurden mit einfachen Gummibändern zusammengehalten.
»Eine Million!«
Willem freute sich kindisch, versuchte sich aber zu beherrschen. Er verfolgte mit Bewunderung, wie Pia flink die Geldbündel ordentlich auf dem Tisch stapelte.
»Eine Million! Ich hätte nie für möglich gehalten, dass aus Hewitt so viel Geld herauszuholen wäre. Pia, ich liebe dich. Du bist großartig.«
Pia ließ sich nicht stören. »Rede doch keinen Unsinn. Hilf mir lieber beim Zählen.«
Wo hatte Hewitt nur das ganze Geld in so kurzer Zeit auftreiben können? Aber sicher! Hewitt wollte doch nach Frankreich fliehen und hatte dafür Schwarzgeld und Erlöse aus seinen Schmuggelgeschäften gebunkert. Die Million war höchstwahrscheinlich nur ein Teil des Geldes, dachte Willem, das Hewitt im Lauf der Jahre beiseite geschafft hatte. Der Rest würde jetzt auf Schweizer oder Liechtensteiner Konten vor sich hinschimmeln, falls Anne-Marie keinen Zugriff darauf hatte.
»Pia, was machst du denn da?«
Sie kniete vor dem Tisch und schien die Geldscheine zu streicheln.
»Mit Geld muss man schonend umgehen. Mit Geld kriegt man alles, was man will. Wer Geld hat, ist auch jemand.«
»Pia, weiß du was du gerade getan hast?«
»Nein, aber du wirst es mir sagen.«
»Du hast eine Szene aus ›Das Geheimnis der falschen Braut‹ zitiert, ein Truffaut-Film.«
»Wirklich? Aber ich kenne den Film doch gar nicht.«
Willem beugte sich zu ihr hinunter, nahm ihren Kopf und küsste sie. Es war das erste Mal, dass Willem und Pia einander wirklich zärtlich küssten.
»Will?«
»Ja?«
»Du sollst die Hälfte haben. Jeder eine halbe Million, bist du einverstanden?«
Willem küsste sie noch einmal.
Beinahe hätte Willem die Zeitungen vergessen. Er stand auf und holte die beiden Tüten.
»Hier, unser Frühstück. Könntest du uns einen Kaffee machen?«
Willem reichte Pia die Tüte mit Croissants. Sie verschwand in die Küche. Als er die dicken Zeitungen auspackte, fiel die Waffe dumpf zu Boden. Willem hob sie auf, wog sie in seiner Hand. Wie schwer doch so ein Ding ist, und damit hat die kleine Pia Hewitt erschossen, direkt in den Kopf, dachte Willem, und legte die Waffe zu dem Geldstapel auf den Tisch.
Die »Mail on Sunday« brachte unter ihrer Schlagzeile ein großes Foto von dem leeren Parkplatz, auf dem die Stelle, an der Hewitt zusammengebrochen war, mit Kreide markiert war. Danach mussten Hewitts Arme flach am Körper gelegen haben, als man ihn fand. Er war wirklich wie ein Baum umgefallen, wie Pia gesagt hatte. In die obere Ecke des Fotos war ein Porträt von Hewitt eingespiegelt, eine Archivaufnahme, die Willem vor Wochen in einer anderen Zeitung gesehen hatte. Hewitt lächelte auf dem Bild und wirkte eigentlich recht einnehmend.
Auf dem Anriss auf
Weitere Kostenlose Bücher