Sein Anteil
insgesamt oft hundert Gäste Platz fanden, folgte einer strengen Geometrie. Halogenlicht leuchtete die Säle völlig gleichmäßig aus, und Spiegel erleichterten aus jeder Perspektive das Sehen-und-Gesehen-Werden.
Die Lunch-Zeit war längst vorbei. Nur eine Handvoll Gäste hockte noch weit verstreut herum, und Pia hatte die Qual der Wahl, sich einen ihr genehmen Tisch auszusuchen. Verloren schritt sie durch die Gänge, setzte sich mal hier, mal dort hin, bis sie sich, zu Willems Erleichterung, endgültig für einen Tisch nahe am Buffet entschied, auf dem Massen von Muscheln und Austern, riesige exotische Fische sowie Berge von Früchten bombastisch aufgebaut waren. Ein aalglatter Kellner trat heran. Pia bestellte sich einen Caipirinha, Willem einen Medium Sherry.
»Es ist unser letztes gemeinsames Essen«, sagte Pia feierlich. Willem wusste nicht recht, was er antworten sollte. »Will, bevor wir auseinander gehen, wollte ich dich noch eins fragen: Bist du eigentlich böse, dass Nikita und ich die Entführung allein durchgezogen haben, ohne dich?«
»Nein, Pia. Warum auch? Es ist vorbei.«
Willem wollte nicht mehr darüber reden. Schließlich hätte er die Entführung verhindert, wenn er es gekonnt hätte. Alles, was geschehen war, war deshalb auch seine Schuld gewesen. Aber das sagte er Pia nicht. Er erinnerte sich daran, wie er versucht hatte, Nikita davon abzuhalten. Sein Verhalten kam ihm im Nachhinein kindisch vor. Er verstand, dass Pia und Nikita die Entführung daraufhin alleine durchgezogen hatten. Nein, er konnte Pia nicht böse sein, Nikita erst recht nicht. Der war tot.
»Es war übrigens meine, nicht Nikitas Idee«, gestand Pia. »Er bestand sogar darauf, dass wir dir Hunderttausend von dem Lösegeld abgeben, ich meine, wenn alles glatt gelaufen wäre. Du hattest ja nicht mit mehr als Hunderttausend gerechnet. Wir hätten das bestimmt getan. Ehrenwort.«
»Schon gut, ich glaube dir.«
Willem war Pias Mitteilungsbedürfnis peinlich.
»Und noch eins: Ich bin dir sehr dankbar. Du hast dich wirklich fabelhaft verhalten, Will.«
»Du auch, Pia.«
»Ich bereue nichts.«
»Ich bereue auch nichts, Pia.«
Willem bemerkte, wie Pias Augen vor Rührung glänzten. Sie wollte ihren Teller nehmen, um sich am Buffet zu bedienen. Doch der Kellner trat ihr entgegen.
»Sie können mir sagen, was Sie wünschen. Ich werde es Ihnen gerne bringen.«
»Dann bringen Sie mir zuerst mal ein paar von den Austern!«
Pia setzte sich wieder und hielt sich verlegen an ihrem Caipirinha fest.
»Und der Herr?«
»Für mich im Augenblick nichts. Ich werfe erst einen Blick auf die Karte. Vielen Dank!«
Willem sah vergnügt zu, wie Pia einen gehäuften Teller mit Austern genüsslich in sich hinein schlürfte. Anschließend ließ sie sich eine große Platte Vitello tonnato kommen, kalten Kalbsbraten mit pikanter Thunfischsauce. Er aß nur eine kleine Portion Risotto mit Muscheln.
»Willst du weiterhin ein Hotel eröffnen?«, fragte Willem.
»Vielleicht. Vielleicht mache ich auch eine Boutique für Touristen auf oder eine Sprachschule, in der Engländer und Deutsche Spanisch lernen können. Aber zunächst werde ich sehr, sehr lange nichts tun. Ich will alles vergessen, nicht nur die letzten Tage, sondern alles, was ich in London, überhaupt in England, erlebt habe.«
Willem verstand, was sie meinte, ihre Zeit im Club und das »Rausgehen« mit den Gästen, ihre Zeit als Au-pair-Mädchen und die Vergewaltigung damals. Im nächsten Augenblick war Pias Traurigkeit schlagartig verschwunden.
»Und ich werde mir die Haare wieder lang wachsen lassen«, verkündete sie freudestrahlend.
Als Dessert verschlang Pia noch ein Tiramisu, beglich die Rechnung und steckte dem verblüfften Kellner ein Trinkgeld von zwanzig Pfund zu.
Willem lenkte Pia anschließend direkt auf »Swaine, Adeney, Brigg and Sons« zu. Er hatte ihr vorgeschlagen, sich neues Reisegepäck zu kaufen. Willem wollte damit vermeiden, dass Pia ihr Vermögen in der schwarzen Sporttasche der Hewitts nach Spanien transportierte, nach der – man konnte nie wissen – die Polizei möglicherweise ebenso Ausschau hielt wie nach dem weißen Lieferwagen.
»Einen schönen guten Tag, Mister… Clarke. Richtig?«
Es begrüßte sie dieselbe Verkäuferin, bei der Willem den Schirm gekauft hatte, mit Robin Clarkes Kreditkarte.
»Sind Sie mit dem Schirm zufrieden, Mister Clarke?«
»Ja, sehr. Vielen Dank.«
Pia musste sich beherrschen, nicht lauthals loszulachen.
»Was ist das
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