Sein Anteil
aufzuschließen, und eine noch größere, sie hinter sich zuzuziehen. Er machte kein Licht, sondern zog sich im Dunkeln aus, bevor er sich fiebernd tief in sein Bett verkroch.
Irgendwann in der Nacht wachte er auf. Oder war es bereits Morgen? Sein Bett war getränkt von kaltem Schweiß. Sein Pyjama klebte wie eine zweite Haut am Körper. Er schüttelte sich vor Kälte. Übelkeit stieg schmerzhaft in ihm auf. Er musste aufstehen, ihm schwindelte, er fiel wieder aufs Bett zurück, ließ sich auf den Boden gleiten, kroch auf allen vieren zur Toilette. Er erbrach sich in heftigen Schüben, krampfhaft, ohne richtig Luft zu bekommen. Wie tot blieb er eine Weile auf den kalten Fliesen liegen. Er erbrach sich erneut, wartete, steckte dann seinen Kopf unter kaltes Wasser, das er als lauwarm empfand. Er wechselte den Pyjama. Zu mehr war er nicht fähig. Schließlich sank er in sein Bett wie in eine feuchte Grube.
Alles drehte sich vor seinen geschlossenen Augen. Er öffnete sie. Alles drehte sich weiter. Das Zimmer kam ihm wie eine Zelle vor. Er wusste: Nichts war vorbei! Sie hatten Nikitas fast intakten Körper gefunden. Sie würden ihn kriegen. Aus einem abfahrenden Zug winkte ihm Pia lachend zu. Er lief neben dem Zug, wollte aufspringen, denn er fühlte, er wurde verfolgt, ohne seine Verfolger zu sehen. Er versuchte die Zugtür zu greifen, aber der Zug wurde schneller und schneller. Auch er wurde schneller. Doch es gelang ihm einfach nicht, so schnell wie der Zug zu sein.
Immer wieder wurde er wach. Waren die Muscheln im Risotto schuld an seinem Zustand? Oder die Unmengen an Zigaretten, die er mit Pia die vergangenen Tage konsumiert hatte? Er wollte nicht daran denken. Denn allein daran zu denken, verursachte ihm weitere Übelkeit. Wenn nur nicht diese Kälte wäre!
Hewitt ist tot, Hewitt ist tot, Hewitt ist tot. Wieder pochte der Satz in seinem Schädel. Und wieder sah er Anne-Marie auf einer Bank im Holland Park, wieder ganz in Schwarz. Er hörte, wie Anne-Marie ihm immer wieder diesen einen Satz entgegenschleuderte: Hewitt ist tot, Hewitt ist tot. Er versuchte wegzulaufen. Doch je weiter er sich von Anne-Marie entfernte, desto lauter hörte er sie rufen: Hewitt ist tot. Er hielt sich die Ohren zu. Aber es half nichts. Er hörte genauso laut: Hewitt ist tot.
Willem bemühte sich, wach zu bleiben. Er wollte nicht mehr träumen. Doch seine Träume schlichen sich in seine Gedanken, wie seine Gedanken sich in seine Träume schlichen. Es war immer dieselbe Angst.
Am frühen Abend glaubte er eine leichte Besserung zu spüren. Er raffte sich auf, duschte, zog sich an, richtete sein Bett. Er wollte ein paar Zeitungen kaufen. Erst auf der Straße spürte Willem, wie angeschlagen er immer noch war. Immer wieder musste er stehen bleiben.
In seine Zelle zurückgekehrt, ließ er sich ins Bett fallen. Er wollte lesen, schaffte es aber nicht. Die Buchstaben sprangen vor seinen Augen herum, schienen sein Fieber in die Höhe zu treiben, und wieder fiel er in einen fiebrigen und unruhigen Schlaf.
Er sah Nikita auf den Gleisen, ausgestreckt, als hinge er am Kreuz. Willem beugte sich über ihn. »Nikita, man darf dich hier nicht finden!« Er versuchte den kalten Körper aufzuheben. Doch Nikita lachte ihn an, schlang seine Arme um ihn, so fest, dass Willem nicht weglaufen konnte. Ein Zug kam. Willem hörte ganz deutlich, wie der Zug schon durch die Unterführung raste, durch die Tür, in sein Zimmer, über sein Bett.
Dann drehte sich Willem um, spürte das Zeitungspapier unter sich, zog es hervor, versuchte zu lesen. »Rätselhafter Mord an Russland-Flüchtling«, mehr konnte er nicht erkennen, bevor Fieber und Erschöpfung sich wieder seiner bemächtigten. Aber er hatte verstanden, dass die Polizei Nikita identifiziert hatte. Es verfolgte ihn in seinem Schlaf ebenso wie die Gewissheit, dass die Polizei auch ihn bald identifizieren würde. Nichts war vorbei! Alles fing erst an.
Dann fand er sich in einem Gerichtssaal wieder. Er war der Angeklagte. Willem gestand alles, auch wenn er sich nicht schuldig fühlte. Er verteidigte sich nicht. Denn er konnte einfach nicht hervorbringen, dass Pia auf Hewitt geschossen hatte, dass Pia Nikita mit dem Kissen erstickt hatte. Es wären billige Ausreden gewesen. Und dann hörte Willem von sehr weit her eine Stimme, die wie ein Echo klang: »Damit sich alles erfüllt, damit ich mich weniger allein fühle, brauche ich mir nur noch eines zu wünschen: am Tag meiner Hinrichtung viele Zuschauer, die
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