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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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dem Fenster. Er hatte sich nicht getäuscht. Über einen riesigen Umweg, wie Willem nun bewusst wurde, waren sie nach Brixton gelangt. Willem erkannte das Kino wieder, das Café daneben und den Club gegenüber. Müssten sie nicht noch weiter nach Süden? Er hielt sich rechts, und wieder wurden die Straßen schaurig dunkel. Fuhren sie nicht zu weit nach Osten? Dulwich Road? Hatte er nie gehört. Die Straße führte ebenfalls nah an einem bedrohlich schwarz-grünen Park vorbei, ging dann – endlich! – direkt auf eine Bahnlinie zu.
    Willem nahm sich vor, sich parallel der Bahnlinie zu halten. Croxted Road? Unbekannt. Schier endlos breiteten sich monotone Siedlungen mit den üblichen Einfamilienhäusern aus. Eins glich wie ein Ei dem anderen – roter Backstein, weiß getüncht die Ränder um Türen und Fenster, alle gleich. Dies waren also die öden Nester, die ganz London umzingelten, aus denen täglich die Pendler geschäftig wie Ameisen in die Stadt krabbelten! Kaum irgendwo brannte Licht, nur blaue Fernsehbilder huschten hier und da durch die Stuben. Mit der Zeit wurde die Bebauung lockerer. Kilometerlang verlief die Straße schon nebenher zur Bahnlinie, an die sich dahinter, er ahnte es mehr, als es zu sehen, Parks und kleine Wälder anschlossen.
    »Ich glaube, hier finden wir eine passende Stelle.« Willem fuhr langsamer, bog links in eine schmale Straße ein, die über die Gleise hinwegführte. Er hielt an.
    »Was meinst du?«
    Statt einer Antwort zuckte Pia nur mit den Schultern. Willem stieg aus. Links und rechts der Brücke konnte er in der Dunkelheit nur weites Grün erkennen. Willem klopfte an die Beifahrertür. Auch Pia stieg jetzt aus.
    »Mist, verdammter! Ich habe die Drahtschere vergessen.«
    Pia machte sich an ihrer Plastiktasche auf dem Rücksitz zu schaffen und brachte, ohne eine Miene zu verziehen, die Schere zum Vorschein.
    »Danke, vielen Dank.«
    Willem atmete erleichtert auf. Er sprang die Böschung hinunter, fand, wie erwartet, einen Maschendrahtzaun, knipste ein Stück von etwa einem Quadratmeter heraus. Pia stand ungeduldig am Kofferraum, als Willem zurückkehrte.
    Wie einstudiert, packte Willem Nikitas Oberkörper, Pia seine Beine. Sie setzten Nikita sofort vor dem Wagen ab. Willem griff sich nun das linke, Pia das rechte Bein. Mit vereinten Kräften zogen sie die Leiche über den Asphalt zur Böschung, schleiften sie dann, ohne viel Aufhebens zu machen, die Böschung hinab. Nur einmal rutschte Pia auf der lockeren Erde aus. Das war der einzige Zwischenfall, bis sie das Loch im Zaun erreichten. Pia stieg hindurch, griff sich Nikitas Hose und zog, während Willem ihr den Oberkörper entgegen schleppte. Im Nu kroch auch Willem durch den Zaun, über die Leiche hinweg. Wieder griff sich jeder ein Bein, schon lag Nikita lang und quer und tot auf den Gleisen.
    Einen Moment dachte Willem daran, etwas zu sagen. Ein Gebet, einen Abschiedsgruß oder dergleichen. Er überlegte. »Ich bin der verlorene Sohn ohne Rückkehr.« Ja, das war es, was Nikita ihm damals bei ihrer ersten Begegnung im Pub am Fluss gesagt hatte. Doch Willem schwieg. Pia war bereits verschwunden.
    Als er wieder im Auto saß, hörte Willem, wie Pia neben ihm leise weinte.

 
17
     
     
     
    Willem wachte auf, öffnete aber nicht die Augen, sondern drehte sich um, bohrte seinen Kopf tiefer ins Kissen.
    »Willst du auch ein Glas Champagner?«
    Das war Pias Stimme. Er schreckte hoch, riss die Augen auf. Pia saß am Fußende des Bettes in einer riesigen Badewanne. Willem ließ sich zurück fallen. Natürlich! Sie waren in einem Hotel. Es war Pias Vorschlag gewesen, hier ein Zimmer zu nehmen. Sie wollte nicht alleine sein, und hatte keine Lust, mit in Willems enges Appartement zu kommen. Auch Willem hatte nicht allein sein wollen.
    »Bist du des Wahnsinns, um diese Uhrzeit Champagner zu trinken!«
    »Wir haben gleich elf Uhr, du Schlafmütze!«, antwortete Pia im gleichen Ton.
    Willem richtete sich auf, schaute sich in dem luxuriösen Zimmer um, antikes Mobiliar, schwere Teppiche auf dem Boden, ein flämisches Landschaftsbild an der Wand und diese riesige Badewanne mittendrin. Willem hatte Pia nicht gefragt, woher sie das Hotel kannte. Er vermutete, sie war zuvor »dienstlich« hier gewesen.
    Pia plätscherte vergnügt, schenkte sich ein weiteres Glas ein aus der Flasche, die in einem silbernen Kühler auf einem Tisch gleich neben ihr stand, und stopfte sich eine dicke Erdbeere in ihren kleinen Mund.
    »Komm doch auch rein! Es ist

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