Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
ergab die Sache mit dem Kabel auch einen Sinn: Es diente dazu, den Akku des Computers aufzuladen. Aber ein Computer war nicht da gewesen, ebenso wenig irgendwelche Disketten. Er bestellte eine weitere Runde und ging zum Münztelefon, das an der Wand vor den Toiletten hing.
»Detective McCluskey, bitte.« Er wurde weiterverbunden.
»McCluskey.« Er klang so, als würde er ein Gähnen unterdrücken.
»Gordon Reeve hier. Ich hab mich gerade mit Eddie Cantona unterhalten.«
»Ach ja, der.« Eine Pause, als der Detective einen Schluck Kaffee schlürfte. »Ich hatte vorgehabt, Ihnen von ihm zu erzählen.«
»Warum haben Sie’s dann nicht getan?«
»Wollen Sie die Wahrheit hören? Ich wusste nicht, wie es Ihnen gefallen würde, zu erfahren, dass Ihr Bruder die letzten paar Tage seines Lebens damit zugebracht hat, mit einem Penner am Lenkrad jede Bumskneipe in San Diego abzuklappern.«
»Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen.« Jetzt war ein Rascheln zu hören; eine Papiertüte, die geöffnet wurde. »Und es tut mir leid, Sie beim Frühstück zu stören.«
»Ich bin spät ins Bett gekommen; kein Problem.«
»Mr. Cantona sagt, mein Bruder hätte einen Laptop und mehrere Disketten gehabt.«
»Ach ja?«
»Das Kabel in seinem Zimmer war ein Adapter zum Aufladen des Akkus.«
»Aha?«
»Langweile ich Sie?«
McCluskey schluckte. »Verzeihung, nein. Es ist bloß – was würden Sie gern von mir hören? Ich weiß, was dieser Penner glaubt, – er sagt, Ihr Bruder wäre ermordet worden. Und jetzt hat er Sie dazu gebracht, sich seine Story anzuhören … und gehe ich recht in der Annahme, dass Sie momentan von einem Münztelefon in einer Bar aus anrufen?«
Reeve lächelte. »Gut kombiniert, Detective.«
» Mühelos kombiniert. Und gehe ich weiterhin recht in der Annahme, dass Sie Mr. Cantona schon ein paar Drinks spendiert haben? Schauen Sie, Gordon, der erzählt Ihnen glatt das Blaue vom Himmel runter, solange er dafür einen konstanten Nachschub an Fusel bekommt. Er wird Ihnen noch erzählen, Ihr Bruder hätte Elvis getroffen, und die beiden wären zusammen in einem rosa Cadillac abgerauscht.«
»Sie klingen so, als wüssten Sie einiges über diesen bestimmten Geisteszustand.«
»Vielleicht ist es so. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber so sehe ich die Sache nun mal. Da steckt überhaupt nichts dahinter; kein Geheimnis, keine Verschwörung, oder wie immer Sie das nennen möchten. Wir haben lediglich einen Mann, der eines Tages von allem genug hat; also regelt er, was es in seinem Leben zu regeln gibt, und besorgt sich ein Schießeisen. Und er erledigt die Sache still und leise, ganz für sich, unter Ausschluss von Freunden und Verwandten, und hinterlässt keinen Abschiedsbrief. Ein sauberer Abgang.«
»Das könnte der Autoverleih, der anschließend die Karre reinigen lassen musste, aber anders sehen.«
»Okay, zugegeben, aber diese Ärsche können sich das leisten.«
»Na gut, Mr. McCluskey. Danke fürs Zuhören.«
»Nennen Sie mich Mike. Wir sprechen uns noch, bevor Sie zurückfliegen, einverstanden?«
»Okay.«
»Und spendieren Sie Mr. Cantona nicht mehr zu viele Drinks – jedenfalls nicht, wenn er anschließend fahren muss.«
Detective Mike McCluskey legte auf, steckte sich den Rest seines Kuchenstücks in den Mund und spülte ihn, so gut es ging, mit der brühheißen Flüssigkeit runter, die der Automat draußen auf dem Korridor unter dem Namen Kaffee von sich gab. Während er kaute, starrte er auf das Telefon, und nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, warf er die zusammengeknüllte Tüte in seinen Papierkorb (der achte Treffer von zehn Versuchen in dieser Woche, was nicht schlecht war), griff dann wieder nach dem Hörer und vergewisserte sich erst, dass niemand in Hörweite war.
»Verfluchter Cantona«, knurrte er und versuchte, sich an die Nummer zu erinnern.
Reeve setzte sich wieder an den Tresen und trank einen Schluck Orangensaft. Er musterte Eddie Cantona, der seinerseits die Cocktailkarte studierte und so aussah, als hätte er für den heutigen Tag seine Bestimmung gefunden. Ja, Eddie sah wie ein Säufer aus, aber nicht wie ein Lügner. Andererseits gab es eine Menge Leute, die, wenn es ums Lügen ging, echte Profis waren. Reeve konnte ein Lied davon singen; er war selbst so ein Profi. Er hatte bezüglich seiner wirklichen Rolle innerhalb der Army jeder Menge Leute Märchen erzählen müssen; er hatte nie den »SAS« oder die »Special Forces« erwähnt, nicht
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