Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
einmal Angehörigen anderer Elitekräfte gegenüber. Wann immer es ging, hatte er den Mund gehalten, und wenn es nicht ging, hatte er gelogen. Lügen war einfach, man behauptete einfach, man wäre in dem Regiment, dem man vor seinem Übertritt zu den Special Forces angehört hatte. Manche waren geradezu stolz auf ihre Lügen. Aber nichts von dem, was Cantona bislang gesagt hatte, war Reeve auch nur im Geringsten verdächtig vorgekommen. Es klang logisch, dass Jim einen tragbaren Computer besessen hatte. Andererseits klang es auch logisch, dass er ihn weggeworfen haben konnte.
Nein, das tat es nicht. Er hatte an einer Story gearbeitet. Er hätte gewollt, dass sie in irgendeiner Form veröffentlicht würde. Er hätte auf sein Denkmal nicht verzichten wollen.
»Eddie«, sagte Reeve und wartete, bis sich der Mann von der Getränkekarte losgerissen hatte, »erzählen Sie mir von meinem Bruder. Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.«
Später fuhren sie mit Cantonas Wagen zum Autoverleih. Reeve hatte sich die wichtigsten Punkte aus McCluskeys Bericht eingeprägt und wusste, wie die Firma hieß. Ihre Adresse hatte er im Telefonbuch gefunden. Er musste jetzt an seinen eigenen kostspieligen Leihwagen denken, den Chevrolet, und daran, dass er mehr herumstand, als gefahren wurde.
»Haben Sie eine Frau, Gordon?«
»Ja.«
»Kinder?«
»Einen Sohn. Er ist elf.«
»Jim hat manchmal von einem Neffen gesprochen – ist er das?«
Reeve nickte. »Allan war Jims einziger Neffe.« Er hatte sein Fenster heruntergelassen und hielt den Kopf in den Fahrtwind.
»Haben Sie Fotos?«
»Was?«
»Von Ihrer Frau und Ihrem Jungen.«
»Ich weiß nicht.« Reeve holte seine Brieftasche heraus und öffnete sie. Da war ein altes Foto von Joan, nicht viel größer als ein Passbild.
»Kann ich mal sehen?« Cantona nahm ihm das Foto ab, hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger, während seine fleischigen Hände wieder auf dem Lenkrad lagen, und betrachtete es eingehend. Er drehte das Foto um, und es wurde ein Streifen Tesafilm sichtbar. »Das hat jemand entzweigerissen«, sagte er, während er Reeve das Foto zurückgab.
»Manchmal verlier ich die Beherrschung.«
»Erzählen Sie das mal meinem Arm.« Cantona rollte seine Schulter ein paarmal.
»Ich war deswegen in Behandlung«, sagte Reeve unvermittelt und wusste selbst nicht, warum er das einem wildfremden Menschen erzählte.
»In Behandlung?«
»Wegen der Gewaltausbrüche. Ich bin früher sehr leicht in Wut geraten. Ich war eine Zeitlang in einer psychiatrischen Klinik.«
»Ach ja?«
»Jetzt habe ich Pillen, die ich eigentlich nehmen sollte, aber ich nehm sie nicht.«
»Das werden dann Stimmungsdämpfer sein, Mann. Finger weg von Tabletten, die einem ins Gehirn ficken.«
»Wirklich?«
»Lassen Sie sich das von jemand sagen, der sich auskennt. Ich war in den Sechzigern in Monterey, dann in Oakland. Da hab ich einiges mitgemacht. So in chemischer Hinsicht, wenn Sie wissen, was ich meine. Hab mir davon eine Depression eingehandelt, die sich gewaschen hatte und den größten Teil der Siebziger angehalten hat; so um 1980 rum hab ich angefangen zu saufen. Das ändert zwar nichts, aber man fühlt sich immer noch besser in Gesellschaft von anderen Säufern als von Ärzten und gottverdammten Psychiatern.«
»Wie kommt es, dass Sie noch immer einen Führerschein haben?«
Cantona lachte. »Weil die mich noch nie erwischt haben, schlicht und einfach.«
Reeve sah durch sein offenes Fenster nach draußen. »Alkohol ist anscheinend einer der Auslöser für meine Gewaltausbrüche.«
Cantona sagte eine Minute lang nichts. Dann: »Jim hat mir mal erzählt, Sie wären früher beim Militär gewesen.«
»Das stimmt.«
»Das könnte einiges erklären. Irgendwelche Einsätze mitgemacht?«
»Ein paar.« Mehr als die meisten, hätte er hinzufügen können. Row, row, row your boat, gently down the stream … Er würgte die Erinnerung ab.
»Ich war in Vietnam«, fuhr Cantona fort. »Hab ein paar Schrapnellkugeln am Fuß abgekriegt. Da war ich fast so weit, dass ich schon mit dem Gedanken spielte, mir selbst eine Verletzung zuzufügen, bloß um da rauszukommen. Kriegen Sie diese Anfälle immer noch?«
»Was für Anfälle?«
»Die Gewaltausbrüche.«
»Ich hab’s mit Selbsthilfe versucht. Ich hab eine Menge Bücher gelesen.«
»Was denn, medizinische Sachen?«
»Philosophie.«
»Ach ja, Jim sagte was davon, Sie würden auf so Zeug stehen. Für mich persönlich ist Castaneda so ziemlich das
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