Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
sturzbetrunken und habe versucht, Marcos Freundin unauffällig unter ihren Schottenrock zu greifen, bis sie mich, den Mund nackenhaarsträubend nah an meinem Ohr, daran erinnert hat, dass Marco früher ziemlich viel Judo gemacht hat und ihm ein Stück von seinem linken Ohr fehle. Also, schön, hab ich meine Hand da wieder weggenommen, ganz wie es sich gehört.
Scheiße, wo war ich noch mal? Bei der Story. Der Story. Da geht es ebenfalls um Wahnsinn: daher auch mein Verweis auf Pink Floyd. Ich könnte ihn auch als Intro für die eigentliche Story verwenden. Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn. War das ein Buch oder ein Film? Hat mir das jemand mal bei einer Scharade vorgelegt? Absolut unmöglich. Doch, genau, auf Marcos Party. Und Marcos Team hat sich die Hälfte der Titel ausgedacht. Der Mistkerl hat uns sogar ein paar italienische aufgetischt.
Marco ist Italiener, und das ist auch für die Story von Bedeutung. Es ist eine Story, die er mir letzten Abend im Stoat and Whistle erzählt hat. Ich hab zu ihm gesagt: Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt? Und weißt du, was er geantwortet hat? Er sagte, das ist das erste ernsthafte (ganz zu schweigen von verständliche) Gespräch, das wir je geführt haben. Und bei Licht betrachtet, hatte er wahrscheinlich sogar Recht. Außerdem ist er überhaupt nur deswegen dazu gekommen, mir seine Story zu erzählen, weil uns die Tottenham-Witze ausgegangen waren. Hier kommt der Letzte, den wir erzählt haben: Was ist der Unterschied zwischen einem Mann ohne Schniedel und einem Spieler der Tottenham Spurs? Ein Mann ohne Schniedel hat größere Chancen, zum Schuss zu kommen.
Wie man sieht, waren wir verzweifelt.
»Was gefunden?«, fragte Fliss. Sie hatte ebenfalls einen Stoß beschriebene Blätter vor sich, dazu ihren zweiten Becher Kaffee.
»Ich glaube, er war komplett abgefüllt, als er das geschrieben hat.«
»Wegen der Tippfehler?«
»Nein, es ist völliger Schwachsinn.«
Sie waren wieder in Jims Wohnung, nachdem sie sich unterwegs was von einem Asien-Imbiss geholt hatten, dazu ein paar Dosen Bier und Cola vom Laden an der Ecke. Die Alubehälter lagen noch halb voll auf dem Couchtisch.
»Und Sie?«, fragte Reeve.
»Hauptsächlich Fotokopien. Artikel aus medizinischen und naturwissenschaftlichen Zeitschriften. Sieht so aus, als wollte er alles zusammentragen, was er über den Rinderwahnsinn finden konnte. Und über Gentechnik-Patente. Da ist ein interessanter Artikel über das Unternehmen, das das Patent auf jegliche gentechnisch veränderte Baumwolle besitzt. Keine Ahnung, ob es irgendwie relevant ist.« Sie nagte an einem Plastik-Essstäbchen. Die Essstäbchen hatten 50 Pence extra pro Paar gekostet. Reeve rieb sich den Unterkiefer und verspürte das Bedürfnis, sich zu rasieren. Und in die Badewanne zu steigen. Und eine Runde zu schlafen. Er bemühte sich, nicht daran zu denken, wie spät es für seinen Körper war; bemühte sich, die acht Stunden zu vergessen, um die er seine Uhr vorgestellt hatte. Er hatte im Flugzeug nicht vorgeschlafen. Er las weiter.
Marco ist Journalist. Er ist für ein Jahr hier, oder auch länger, wenn die Artikel, die er als London-Korrespondent eines Mailänder Hochglanz-Käseblatts verzapft, Anklang finden. Die faxen ihm ständig, sie bräuchten mehr über die Royals, mehr Upper-Ten-Feten, mehr Wimbledon und Ascot. Er hat versucht, denen zu erklären, dass Wimbledon und Ascot nur einmal im Jahr stattfinden, aber sie schicken einfach immer mehr Faxe an ihr Londoner Büro. Marco spielt mit dem Gedanken, den Job zu schmeißen. Früher war er ein »ernsthafter« Journalist, echt taffe Schreibe, bis er mehr Geld in der Luft witterte. Wechselte von täglich zu wöchentlich, von Zeitung zu Illu. Er sagte damals, ihm stünde der Journalismus bis dahin; er wollte leicht verdientes Geld und Abstand von Italien. Die italienische Politik deprimierte ihn. Die Korruption deprimierte ihn. Ein Kollege von ihm, der sich auf irgendeinen Minister mit Verbindungen zur Mafia eingeschossen hatte, wurde mit einer Briefbombe in die Luft gejagt. Ka-wumm, und rauf zum großen Chefredakteur im Himmel. Oder vielleicht auch den Paternoster runter in den Keller zum Feuerschüren und Kleinanzeigentippen.
Marco erzählte mir von einigen Skandalen, und ich hab fleißig gekontert und Komplott mit Komplott, Machenschaft mit Machenschaft, Bestechung mit Bestechung vergolten. Dann hat er mir erzählt, dass er seinerzeit über den spanischen
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