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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Er schien von keinem Unternehmen gekauft zu sein und hatte – zumindest nach außen hin – nichts für Washingtons Heerscharen von geschniegelten Lobbyisten übrig.
    Vielleicht lag das daran, dass Cal Waits weder das Geld noch die Aufmerksamkeit nötig hatte. Sein Großvater war der Besitzer der größten Bankengruppe des Südwestens gewesen, und Aufmerksamkeit verschaffte ihm sein Auftreten im Senat schon mehr als genug. Er war ein massiger Mann mittleren Alters mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an – größtenteils sehr amüsanten – Anekdoten, die er für sein Leben gern erzählte und die meist einen deutlichen Bezug zum jeweiligen Gegenstand hatten, der gerade im Senat diskutiert wurde. Er wurde ständig zitiert, als O-Ton herangezogen, zu fünfzehn für die Abendnachrichten brauchbaren TV-Sekunden zusammengeschnitten. Er war, wie eine Zeitung es formuliert hatte, »eine Institution«.
    Sie aßen in Allerdyce’ Lieblingsrestaurant, dem Ma Petite Maison. Allerdyce mochte die Krabbenküchlein, die es dort gab; außerdem gehörten ihm zehn Prozent des Lokals (was allerdings nicht allgemein bekannt war), und deswegen sah er gelegentlich gern nach, wie das Geschäft so lief. Die Geschäfte liefen nicht schlecht, trotzdem hatte es Allerdyce geschafft, kurzfristig einen Tisch zu reservieren, einen von denen in den hinteren Nischen, die normalerweise für Gruppen von fünf oder mehr Gästen frei gehalten wurden. Ein Journalist vom Wall Street Journal war an einen der proletarischeren Tische umquartiert worden, würde später allerdings durch einen zehnprozentigen Rabatt auf seinen Rechnungsbetrag beschwichtigt werden.
    Allerdyce konnte Cal Waits unmöglich erzählen, dass er seinetwegen jemandem den Stuhl unterm Hintern hatte wegziehen lassen. Andere Lunchgäste wären beeindruckt, ja geschmeichelt gewesen; nicht so Waits. Waits hätte protestiert, vielleicht sogar das Lokal verlassen. Aber Allerdyce wollte das nicht – Waits sollte nicht verschwinden, er sollte mit ihm sprechen. Zuerst allerdings galt es, den übrigen Quatsch hinter sich zu bringen, das Alibi für ihr Treffen: Austausch über Familie, gemeinsame Bekannte, alte Zeiten. Allerdyce bemerkte, dass manche der anderen Gäste sie anstarrten – zwei zerschrammte alte Schlachtrosse, die ihre Nase in den Futtersack steckten.
    Und dann kamen die Hauptgerichte – Cassoulet für Waits, Magret d’oie für Allerdyce -, und es war höchste Zeit.
    Waits warf einen Blick auf seinen Teller. »Zum Teufel mit gesunder Ernährung«, gluckste er. »Dieser Gesundheitstrip läuft jetzt schon seit – na? – zwanzig Jahren: Er bringt dieses Land um. Ich rede nicht von Cholesterin oder sonst einem neuen körperlichen Unheil, das die Wissenschaftler aus dem Ärmel zaubern, ich meine, dass die Leute nicht mehr zu ihrem Vergnügen essen. Verdammt, Jeffrey, Essen war in Amerika früher ein Zeitvertreib! Steaks und Burger, Pizza und Spareribs … Fun Food. Surf’n’ Turf, solche Sachen. Und jetzt guckt einen jeder schon entsetzt an, wenn man auch nur an einer Hühnerkeule nagt. Zum Teufel, hab ich zu meinen Ärzten gesagt – es ist Ihnen sicher aufgefallen, dass man heutzutage nicht mehr mit einem einzigen Arzt auskommt, man braucht schon einen ganzen Schwung davon, genau wie mit den Anwälten -, ich hab denen gesagt, dass ich mich nicht auf Diät setzen lassen würde. Ich würde alles tun, was sie mir sonst so vorschreiben, aber ich würde nicht aufhören, die Sachen zu essen, die ich schon mein ganzes gottverdammtes Leben lang esse!«
    Um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen, schob er sich ein Stück fetten Schweinebauch in den Mund.
    »Was schlucken Sie so an Medikamenten, Cal?«, fragte Allerdyce.
    Cal Waits erstickte fast vor Lachen. »Rund ein Fläschchen Pillen pro Tag. Ich hab kleine rosafarbene und große blaue und irgendwelche Kapseln, wo das eine Ende weiß und das andere gelb ist. Ich hab rote Pillen, die so klein sind, dass man praktisch eine Pinzette braucht, um sie aufzulesen, und ich hab so eine riesige Pastellfarbene, die ich einmal am Tag nehme und die so groß wie der Stöpsel einer Badewanne ist. Fragen Sie mich nicht, wozu die alle gut sind, ich würg sie einfach so runter.«
    Er schenkte sich ein weiteres halbes Glas 83er Château Montrose ein. Obwohl er aus Kalifornien stammte, bevorzugte Waits Bordeaux-Weine. Die Ärzte hatten ihn auf eine Ration von einer halben Flasche täglich gesetzt, und er trank vielleicht doppelt so viel. Das war ein

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