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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Unstimmigkeit in ihrer Darlegung, fand aber keine. Er glaubte es nicht, aber es war durchaus möglich. Je länger er darüber nachdachte, um so wahrscheinlicher erschien es ihm.
    »Nicht wahr?« fragte sie mit kindlichem Eifer. »Sagen Sie mir, daß ich eine brillante Detektivin bin, William! Sie müssen mich als Partnerin akzeptieren - ich werde Theorien finden, die all Ihre Fälle erklären. Dann können Sie hingehen und die Beweise dafür finden.«
    »Eine wunderbare Idee«, sagte er lächelnd. »Wollen wir sie mit einem Abendessen besiegeln?«
    »Ja, ja gern. Mit Champagner.« Sie sah sich auf der hell erleuchteten Straße mit ihren einladenden Fenstern um. »Wo wollen wir essen? Bitte, lassen Sie uns irgendwo hingehen, wo es aufregend, anrüchig und einfach herrlich ist. Ich bin sicher, Sie wissen da etwas.«
    Das hatte er wahrscheinlich auch gewußt, vor seinem Unfall. Jetzt konnte er nur raten. Er durfte sie nirgendwo hinbringen, wo sie sich langweilen würde oder wo etwas passieren konnte, das sie in Verlegenheit brachte oder abstieß. Und natürlich konnte er nicht erwarten, daß Callandra die Rechnung dafür bezahlte. Sie würde es nicht billigen und als Betrug an Hester betrachten, ganz gleich, wie absurd diese Einstellung war. Und sie war wirklich absurd. Die Beziehung zu Hester war er nicht freiwillig eingegangen, sondern entsprang den Umständen, die sie zusammengeführt hatten. Sie war weit entfernt von Romantik und eher eine Art Zusammenarbeit auf gewissen Gebieten, man könnte fast sagen, eine Geschäftsbeziehung.
    Drusilla sah ihn mit erwartungsvollen, leuchtenden Augen an.
    »Natürlich«, erwiderte er, da er es nicht wagte, seine Unwissenheit preiszugeben. »Es ist nur ein kleines Stück von hier entfernt.« Mit etwas Glück würde er auf den nächsten zwei oder dreihundert Metern ein passendes Lokal finden. Es wimmelte hier nur so von Cafes, Tavernen und Kaffeehäusern.
    »Wunderbar«, sagte sie glücklich und ging weiter. »Ich bin nämlich wirklich hungrig. Wie undamenhaft von mir, das zuzugeben. Das ist ein weiterer Punkt an diesem Abend, der mir so sehr gefällt. Ich darf hungrig sein! Ich kann sogar trinken, was ich möchte. Vielleicht entscheide ich mich doch nicht für Champagner. Vielleicht trinke ich ein Stout. Oder ein Porter.«
    Sie genossen ein hervorragendes Mahl in einer Taverne, in der der Wirt obszöne Witze erzählte und bei jeder Gelegenheit in schallendes Gelächter ausbrach. Einer der Stammgäste verspottete verschiedene Politiker und Mitglieder der königlichen Familie. Die Atmosphäre war anheimelnd und herzlich, und eine Vielzahl von angenehmen Düften stieg ihnen in die Nase und gab ihnen das Gefühl, in eine andere Welt eingetaucht zu sein, meilenweit entfernt von ihrer eigenen.
    Danach gingen sie fast bis zum Ende der Straße, zurück zum Soho Square, bevor er einen Hansom anhielt, um sie nach Hause zu bringen. Er selbst wollte zur Fitzroy Street weiterfahren.
    Mit einiger Überraschung stellte er fest, daß er keine Ahnung hatte, wo sie wohnte, und hörte aufmerksam zu, als sie dem Fahrer eine Adresse am Rand von Mayfair nannte. Sie saßen dicht nebeneinander in dem Wechselspiel von Licht und Dunkelheit, während sie über die Oxford Street nach Westen rollten und dann nach links auf die North Audley Street abbogen. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß er sich jemals so wohl in der Gesellschaft eines anderen Menschen gefühlt hatte, ohne auch nur einen Augenblick lang gereizt oder gelangweilt zu sein. Er freute sich bereits von ganzem Herzen auf ihr nächstes Treffen. Sobald der Fall Angus Stonefield abgeschlossen war, würde er sich andere Dinge einfallen lassen, um sie zu unterhalten.
    Sie kamen an einem großen Haus vorbei, in dem sich irgendeine Festlichkeit ihrem Ende näherte. Die Straße war voller Kutschen, und sie mußten das Tempo drosseln. Überall brannten Lichter, Fackeln und Kutschenlaternen, und aus den offenen Türen fiel der Lichtschein ungezählter Kronleuchter. Mindestens ein Dutzend Leute stand auf dem Gehweg, und fünf oder sechs befanden sich auf der Straße. Livrierte Lakaien halfen einer Frau, ihre ausladenden Röcke in ihrer Kutsche zu verstauen. Stallburschen hielten die Pferde, Kutscher zogen die Zügel an.
    Plötzlich machte Drusilla einen Ruck nach vorn. Ihr Gesicht hatte sich vollkommen verändert; blinder Haß verzerrte ihre Züge. Sie griff sich an das Mieder ihres Gewandes und riß es mit einer einzigen heftigen Bewegung auf,

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