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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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treiben sich in komischen Gegenden rum. Würde mich nicht überraschen, wenn Sie sich irgendwas Unangenehmes eingefangen hätten.«
    Er murmelte eine nichtssagende Antwort, und sie machte sich daran, das Geschirr abzuräumen.
    Es klopfte an der Tür, und Monk stand auf, um sie zu öffnen. Ein Schwall kalter Luft drang ins Haus. Das Tageslicht war fahl und grau.
    »Brief für Sie, Mister«, sagte ein kleiner Junge, der unter einer übergroßen Mütze zu ihm auflächelte. »Für Mr. Monk. Das sind Sie doch, oder? Ich kenn' Sie nämlich. Hab' Sie schon mal gesehen.«
    »Wer hat dir den Brief gegeben?« fragte Monk, der nach einem kurzen Blick auf den Umschlag festgestellt hatte, daß er die Handschrift nicht kannte. Es war eine elegante weibliche Schrift, und sie gehörte weder Hester noch Callandra, noch Genevieve Stonefield.
    »Eine Dame in 'ner Kutsche, Chef. Den Namen kenn' ich nicht. Hat mir drei Pence dafür gegeben, Ihnen den Brief zu bringen.«
    Sein Magen verkrampfte sich. Vielleicht beinhaltete dieser Brief irgendeine Erklärung? Er würde alles ins rechte Licht rücken. Das Ganze war ein Irrtum.
    »Eine Dame mit blondem Haar und braunen Augen?« fragte er.
    »Blonde Haare ja, aber auf die Augen hab' ich nicht gesehen.« Der Junge schüttelte den Kopf.
    »Vielen Dank.« Monk riß den Brief auf. Er trug das Datum des heutigen Tages.
    Mr. William Monk, ich habe nie unterstellt, daß Sie ein Gentleman sind, der mir gesellschaftlich ebenbürtig wäre, aber ich glaubte, Sie verfügten über ein Mindestmaß an Anstand, sonst hätte ich mich niemals bereit gefunden, auch nur eine Sekunde länger in Ihrer Gesellschaft zu verbringen, als die Regeln der Höflichkeit es verlangen. Ich fand Ihre Andersartigkeit amüsant, mehr nicht. Die Beschränkungen, welche die Gesellschaft mir auferlegt, langweilen mich, und die Regeln und Konventionen erdrücken mich. Sie haben mir einen unterhaltsamen Blick in eine andere Welt geboten. Ich kann nicht glauben, daß Sie meine Höflichkeit so gründlich mißverstanden haben, daß Sie der Vorstellung erlegen sind, ich könne unserer Bekanntschaft erlauben, sich zu etwas anderem zu entwickeln. Die einzige Erklärung für Ihr Benehmen liegt in Ihrer Mißachtung der Gefühle anderer Menschen und in Ihrer Bereitschaft, Menschen zu mißbrauchen, um Ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ganz gleich, wie der andere es empfindet. Ich kann Ihnen das, was Sie mir angetan haben, niemals verzeihen, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, daß Sie bis auf den letzten Penny dafür bezahlen. Ich werde mich in dieser Sache auf das Gesetz berufen und, wenn es sein muß, auch auf die Gerichte, und ich werde darüber reden. Sie sollen bei jedem Atemzug, den Sie tun, wissen, daß ich Ihre Feindin bin, und Sie werden den Tag verfluchen, an dem Sie sich entschlossen haben, mich zu mißbrauchen, wie Sie es getan haben. Ein solcher Verrat wird immer seine Strafe finden, Drusilla Wyndham.
    Er las den Brief noch einmal. Es war unglaublich. Aber auch nochmaliges Durchlesen änderte nichts an seinem Inhalt.
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mister?« fragte der Junge ängstlich.
    »Ja«, log Monk. »Ja, vielen Dank.« Er suchte in seiner Tasche nach einer Münze und holte ein Drei-Pence-Stück heraus. Er wollte auf keinen Fall, daß sie mehr bezahlte als er.
    Der Junge nahm die Münze dankend entgegen, änderte dann aber mit leicht gequälter Miene seine Meinung.
    »Sie hat mir schon was gegeben.«
    »Ich weiß«, sagte Monk und atmete tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen. »Behalte es trotzdem.«
    »Vielen Dank, Chef.« Und bevor sein Glück ihn verlassen konnte, drehte er sich um und lief die Straße hinunter; seine Stiefel klapperten munter über das kalte Pflaster.
    Monk schloß die Tür und ging in sein Zimmer zurück. Seine Vermieterin war nicht mehr da. Er setzte sich, den Brief noch immer in Händen, obwohl er ihn nicht mehr beachtete.
    Er konnte sich unmöglich auf den vergangenen Abend beziehen oder auf irgendein anderes Treffen während der letzten Woche. Sie konnte nur von einer Begegnung in der Vergangenheit sprechen.
    Immer wieder liefen die Dinge darauf hinaus - auf seine Vergangenheit, diese große Lücke in seiner Erinnerung, die Dunkelheit, in der alles mögliche existieren konnte.
    Sie hatte das Wort »Verrat« benutzt. Das bedeutete gleichzeitig auch Vertrauen. War er wirklich ein Mann, der so etwas tun konnte? Er hatte seit dem Unfall niemals einen

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