Sein Bruder Kain
die Wand. Ihr Körper fiel schwer und weich zu Boden, wie ein Sack Hafer. Sie schrie ihm eine Reihe von Flüchen nach, die er eher von einem Kahnführer erwartet hätte.
Caleb war verschwunden.
Monk hatte sich mittlerweile wieder gefangen und lief weiter. Irgend jemand rannte mit wehenden Rockschößen die Harrap Street entlang. Es mußte einer der Constables sein.
Monk stürmte um die Straßenecke und sah Caleb ohne Anstrengung nicht weit vor sich herlaufen, mit beinahe tänzerischer Eleganz; schließlich drehte er sich um und winkte ihm mit lachender Miene zu. Dann hastete er weiter Richtung Fluß.
Monk beschleunigte seine Schritte, seine Lungen wollten schier zerreißen, und sein Herz raste. Es war lange her, seit er das letzte Mal einen Mann zu Fuß verfolgen mußte - und dies eine schlechte Gelegenheit, um das festzustellen.
Der Constable holte ihn ein und ließ ihn schon bald hinter sich. Caleb war immer noch zwanzig Meter vor ihnen; ihn schien die Verfolgungsjagd keine besondere Kraft zu kosten, denn ab und zu machte er wie zum Spott einen Luftsprung. Sie hatten die Abzweigung zur Leicester Street hinter sich gelassen und näherten sich jetzt der Norfolk Street. Was war Calebs Ziel?
Caleb lief an der Einmündung zur Russell Street vorbei, und jetzt lagen nur noch der Hafen und die Treppen vor ihm! Ein verrückter Gedanke schoß Monk durch den Kopf. Wollte er in den Fluß springen? Selbstmord? Viele Männer würden das dem Seil des Henkers vorziehen. Monk war einer von ihnen.
In diesem Fall würde er auf den Kai zusteuern, nicht auf die Treppen.
Es war bereits mitten am Nachmittag, und das Licht wurde schwächer. Ein fahles Grau kroch vom Fluß die Ufer hinauf und raubte allem seine ohnehin nur geringe Farbe. Der Nebel dämpfte Calebs dahineilende Schritte, während er über die Steine auf den Fluß und die Treppe zulief, die zum Wasser hinunterführte. Der Constable war nur noch ein paar Meter hinter ihm.
Monks Atem ging stoßweise, aber der Schmerz in seinem Knöchel ließ langsam nach.
Caleb verschwand die Treppe hinunter, der Constable ebenfalls. Dann hörte man einen Schrei und einen schweren Aufprall auf dem Wasser, gefolgt von einem Angstschrei, der beinahe sofort erstickt wurde.
Monk war gerade am Rand der Mauer angekommen, als ein zweiter Constable hinter ihm auftauchte.
Caleb stand breitbeinig, selbstsicher, lachend und mit zurückgeworfenem Kopf auf der Treppe. Der Constable schlug im Wasser um sich und war im Begriff unterzugehen, denn seine schweren Kleider und seine Stiefel zogen ihn in die Tiefe.
»Er wird ertrinken!« rief Caleb, den Blick auf Monk geheftet.
»Sie sollten ihn besser rausziehen! Sie können ihn schließlich nicht krepieren lassen, Mr. Selbstgerecht!«
Ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt trieb ein Lastkahn im Wasser, der erste von einer Reihe von Kähnen, die sich langsam mit der hereinkommenden Flut flußaufwärts bewegten. Sie waren schwer mit dunkel verhüllten Ballen beladen und lagen tief im Wasser. Der Kahnführer am Heck sah den Mann im Wasser und warf die Hände bedauernd hoch. Er konnte die Geschwindigkeit seines Bootes nicht bremsen. Hinter ihm kamen noch ein Dutzend andere wie Eisenbahnwaggons.
Monk zögerte nur eine Sekunde lang. Der Constable war am Ertrinken. Sein Gesicht war weiß vor Entsetzen. Er konnte nicht schwimmen, und seine panische Angst würde ihn umbringen. Am Ufer lag eine Holzlatte. Monk warf sie ins Wasser und wartete gerade lange genug, um festzustellen, daß sie auf der Oberfläche trieb.
Diese eine Sekunde war genug. Caleb stürmte die Treppe wieder hinauf und stieß ihn zur Seite. Dann rannte er flußaufwärts auf das Artichoke zu, das etwa fünfzig Meter entfernt lag.
Der zweite Constable kam jetzt heran und machte Anstalten, Caleb zu verfolgen und es Monk zu überlassen, den Mann aus dem Wasser zu ziehen.
»Holen Sie ihn raus!« rief Monk und wies mit einer ruckartigen Armbewegung die Treppe hinunter und auf das Wasser, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und Caleb nachsetzte.
Der Constable keuchte atemlos, sah seinen Kollegen im Wasser um sich schlagen und nach dem Holz greifen; er zögerte nicht länger, sondern rannte die Stufen hinunter, um ihm zur Hilfe zu kommen.
Monk jagte über das harte Pflaster hinter Caleb her, der plötzlich die Richtung änderte, als wolle er zur Vorderseite, zum Eingang der Taverne laufen. Warum? Hatte er Freunde dort?
Verstärkung vielleicht? Er konnte kaum hoffen, ein halbes Dutzend
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