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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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unflätigsten Beleidigungen nachrief, als sie sich zurückzogen. Im dritten Raum lag ein alter Mann im Sterben, und eine Frau, die sich langsam hin und her wiegte, hockte neben ihm und jammerte.
    Der dritte Stock war voll von Frauen, die Hemden nähten; sie hielten die Köpfe gesenkt, und ihre Augen mühten sich ab, etwas zu sehen, während ihre Finger mit der Nadel über den Stoff glitten, um den Faden durch das Gewebe zu ziehen. Ein Mann mit einem Kneifer auf der Nase funkelte den Sergeant wütend an und zischte ihm zornige Worte zu, während er ihm mit dem Finger drohte wie eine Schullehrerin. Monk juckte es in allen zehn Fingern, ihn zu schlagen, weil das, was der Mann tat, ungeheuer grausam war, aber er wußte, daß damit niemandem geholfen wäre. Ein einzelner armseliger Akt von Gewalt würde keine dieser Frauen aus den Fängen der Armut befreien. Und er war hinter Caleb Stone her, nicht hinter einem erbärmlichen Ausbeuter.
    In dem ersten Raum im obersten Stockwerk fanden sie einen Einarmigen, der vorsichtig ein Pulver in eine Waagschale schüttete. Im nächsten Raum spielten drei Männer Karten. Einer von ihnen hatte dünnes graues Haar und einen gewaltigen Bauch, der sich über seinen Hosenbund wölbte. Der zweite war kahl und trug einen roten Schnurrbart. Der dritte war Caleb Stone.
    Als der Sergeant die Tür öffnete, sahen sie erschrocken auf. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, angespanntes, eisiges Schweigen. Der fette Mann rülpste.
    Der Sergeant machte einen Schritt nach vorn, und in diesem Augenblick erst sah Caleb Stone Monk. Vielleicht war es ein Ausdruck von Triumph in Monks Gesicht, vielleicht erkannte er auch den Sergeant. Er sprang auf, stürzte auf das Fenster zu und warf sich mit einem klirrenden Splittern von Glas hinaus.
    Der dicke Mann rollte sich auf allen vieren herum und griff Monk an. Monk hob das Knie und erwischte seinen Gegner am Kiefer, so daß dieser blutspuckend zurücktaumelte. Der andere Mann kämpfte mit dem Sergeant, wobei sie sich vorwärts und rückwärts durch den Raum bewegten.
    Monk lief zum Fenster, schlug den Rest des Glases aus dem Rahmen und lehnte sich hinaus, wobei er hoffte, ja fast erwartete Caleb mit gebrochenen Gliedern vier Stockwerke tiefer auf dem Pflaster liegen zu sehen.
    Aber er hatte die Drehungen und Wendungen der Treppen nicht bedacht. Sie befanden sich im hinteren Teil des Gebäudes, und nicht mehr als vier Meter unter ihm lag das Dach eines hohen Holzschuppens. Caleb rannte darüber hinweg, flink wie ein Tier, und steuerte die gegenüberliegende Seite des Gebäudes und ein halboffenes Fenster an.
    Monk schwang sich über die Fensterbank und sprang ihm hinterher. Nach einem Aufprall, der sämtliche Knochen in seinem Leib erschütterte, kam er gleich wieder auf die Füße und stürzte hinter Caleb her. Das Dach des Schuppens vibrierte unter seinem Gewicht.
    Caleb drehte sich einmal kurz um, den breiten Mund zu einem Grinsen verzogen, bevor er durch das Fenster sprang und dahinter verschwand.
    Monk folgte ihm und fand sich abermals in einem kalten, engen Raum wieder, in dem drei alte Männer mit Flaschen in den Händen saßen, und ein Kohleofen den Geruch von Ruß verströmte.
    Caleb riß die Tür auf, jagte durch den Flur, und Monk hörte seine Schritte durchs Treppenhaus hallen. Er setzte ihm nach, stolperte auf der vierten oder fünften Stufe, die zerbrochen war, und fiel das restliche halbe Dutzend hinunter. Die Landung war schmerzhaft, und um ein Haar hätte er sich den Kopf an einem der Pfosten angeschlagen. Er hörte noch Calebs Lachen, als dieser einen Stock tiefer weiter die Treppe hinunterstolperte.
    Außer sich vor Zorn und Schmerz raffte er sich wieder auf und rannte so schnell er konnte Caleb hinterher. Er kam gerade noch rechtzeitig, um dessen Rücken zu sehen, als er durch die Tür hinaus auf die Prestage Street stürmte - in Richtung Brunswick Street, die bis hinunter zum Fluß führte, bis zum Ashton Wharf und den Blackwall Stairs.
    Wo zum Teufel waren die anderen Constables? Monk schrie, was seine Lungen hergaben.
    »Benyon! Brunswick Street!«
    Sein Ellbogen und seine Schulter, mit denen er bei seinem Sturz an die Wand geprallt war, schmerzten, und einer seiner Knöchel pochte, aber er jagte über den Gehsteig und rannte eine alte Frau um, die ein Kleiderbündel trug und fest entschlossen war, ihm nicht aus dem Weg zu gehen. Er schleuderte sie - unbeabsichtigt, da er sicher gewesen war, daß sie ihm Platz machen würde - gegen

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