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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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übertönten grell das Rattern der Wagenräder und die lauten Rufe der Schauerleute mit ihren schweren Lasten, den Singsang der Kahnführer und Treidelknechte und das endlose Klatschen und Platschen der Flut.
    Monk hielt sich im Hintergrund, um Benyon nicht bei seiner Arbeit zu stören. Das war sein Gebiet, und er kannte die Leute und wußte, was zu tun war.
    Nach einigen Minuten kehrte Benyon zu ihm zurück.
    »Ist heute nicht hiergewesen«, sagte er, als hätte er nichts anderes erwartet.
    Monk war ebenfalls nicht überrascht. Er nickte, und gemeinsam gingen sie über die Manchester Road, vorbei am Millwall Wharf, am Plough Wharf bis zur Davis Street, wo sie zuerst nach rechts und dann nach links auf die Samuda Street einbogen. Sie kehrten auf ein Bier in der Polly Tavern ein, und dort erfuhren sie endlich etwas Neues über Caleb Stone. Niemand gab zu, ihn in den vergangenen Tagen zu einem bestimmten Zeitpunkt gesehen zu haben, aber eine kleine Ratte von einem Mann mit einer langen Nase und einem Glasauge folgte ihnen aus der Taverne und erzählte Benyon verstohlen und natürlich zu einem gewissen Preis, daß Caleb einen Freund in einem Mietshaus auf der Quixley Street habe, einer Seitenstraße der East India Dock Road, ungefähr eine dreiviertel Meile entfernt.
    Benyon gab dem Mann eine halbe Krone, woraufhin dieser beinahe augenblicklich auf der anderen Seite der Gasse verschwand.
    »Bringt uns das irgendwie weiter?« fragte Monk zweifelnd.
    »O ja«, antwortete Benyon voller Überzeugung. »Sammy ist uns wegen ein, zwei Geschichten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er würde mich nicht belügen. Wir sollten besser den Sergeant suchen. Wir brauchen mindestens ein halbes Dutzend Leute für diese Sache. Wenn Sie die Quixley Street kennen würden, wüßten Sie, warum.«
    Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde, um das Polizistenduo aus Limehouse zu finden und anschließend zu fünft, einschließlich des Sergeant, in die Quixley Street zu gehen, eine schmale Durchgangsstraße, die kaum hundert Meter lang war und in das Güterdepot der Great Northern Railway am ersten East India Dock führte. Zwei Männer wurden in die hinter dem bewußten Mietshaus verlaufende Harrap Street geschickt, Benyon in die Scamber Street, die an dessen Seite grenzte. Der Sergeant nahm Monk mit zur Vorderfront des Gebäudes.
    Es war ein großes, viergeschossiges Haus mit schmalen, schmutzigen Fenstern, von denen einige gesprungen oder zerbrochen waren. Auf den dunklen Backsteinen zeichneten sich Wasser und Rußflecken ab, aber nur einer der hohen Schornsteine rauchte und wehte eine feine grauschwarze Rußfahne in die kalte Luft.
    Monk spürte einen Schauder der Erregung trotz des Schmutzes und des Elends, die ihn umgaben. Wenn Caleb Stone wirklich hier war, würden sie ihn in wenigen Minuten haben. Er wollte ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, wollte diese außergewöhnlichen grünen Augen beobachten, wenn ihm klarwürde, daß er geschlagen war.
    Im Hauseingang lag ein Mann, der entweder betrunken war oder schlief. Er hatte sich seit mehreren Tagen nicht rasiert und konnte nur mit Mühe atmen. Der Sergeant trat über ihn hinweg, und Monk folgte ihm.
    Im Innern des Hauses roch es nach Moder und abgestandenem Schmutzwasser. Der Sergeant drückte die Tür des ersten Raums auf. Dahinter saßen drei Frauen, die Seile aufwickelten. Ihre Finger waren schwielig und geschwollen, einige rot von eitrigen Entzündungen. Ein halbes Dutzend Kinder in verschiedenen Stadien der Nacktheit spielte auf dem Fußboden. Ein Mädchen von etwa fünf Jahren trennte die Nähte an einem Stück Stoff auf, das bis vor kurzem wahrscheinlich ein Kleidungsstück gewesen war. Das Fenster war mit Brettern vernagelt. Eine einzige Kerze kämpfte gegen die Düsternis an. Es war bitter kalt. Caleb Stone war offensichtlich nicht hier.
    Im nächsten Raum bot sich ihnen ein ähnliches Bild.
    Monk sah den Sergeant an, aber sein grimmiger Blick brachte alle Zweifel zum Verstummen.
    Auch der dritte und vierte Raum brachte sie nicht weiter. Sie stiegen die wackelige Treppe hinauf und prüften jede einzelne Stufe, bevor sie mit ihrem ganzen Gewicht darauf traten. Die Stufen schaukelten beunruhigend hin und her, und der Sergeant fluchte leise.
    Im ersten Raum des nächsten Stockwerks befanden sich zwei Männer, die beide ihren Rausch ausschliefen, aber keiner von ihnen war Caleb Stone. Das zweite Zimmer beherbergte eine Prostituierte und einen Kahnführer, der ihnen die

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