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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das Gebäude, um nach einem Angestellten zu suchen, den er fragen konnte.
    Er war ungewöhnlich nervös. Normalerweise schüchterte er mit seinem Auftreten die Leute ein. Er brauchte ihnen nur in die Augen zu sehen und ihnen eine kurze Frage zu stellen, und schon erhielt er eine Antwort. Heute fühlte er sich, noch bevor er zu reden begann, im Nachteil.
    Wie weit hatte sie die abscheulichen Gerüchte über ihn schon verbreitet? Wußten diese Leute schon darüber Bescheid? Er fühlte sich nicht wie ein Schurke, nur wie ein Narr!
    »Ja bitte, Sir?« sagte der Portier fragend. »Kann ich Ihnen irgendwie zu Diensten sein? Benötigen Sie Informationen über irgendeine Zusammenkunft oder einen Redner?«
    Monk hatte sich bereits eine Lüge zurechtgelegt. So etwas hatte er schon häufig getan, bei Gelegenheiten, die ihm persönlich weit weniger wichtig gewesen waren und die Sache erheblich erleichtert hatten.
    »Hm, ich habe vor zwei Wochen draußen auf der Treppe eine Dame getroffen, die aus dem Haus hier kam«, begann er mit einem spürbaren Mangel an Selbstbewußtsein. »Sie war so freundlich, mir mehrere andere Gesellschaften und Gruppen zu empfehlen, aber unglücklicherweise habe ich das Papier verlegt, auf dem ich mir meine Notizen gemacht habe, und ich kenne sie nicht gut genug, um sie aufzusuchen. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal ihre Adresse.« Redete er zuviel - beantwortete er Fragen, die noch gar nicht gestellt worden waren? »Es war eine zufällige Begegnung. Wir hatten buchstäblich einen Zusammenstoß, und auf diese Weise sind wir ins Gespräch gekommen.« Er blickte dem Mann forschend ins Gesicht, das jedoch keine Regung zeigte. Keine Spur von Argwohn oder Ungläubigkeit stand darin zu lesen.
    »Ach wirklich, Sir. Vielleicht kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein. Ich kenne einige andere Gesellschaften, die so ziemlich die gleichen Interessen verfolgen, obwohl ich sagen muß, daß keine von ihnen meines Wissens sich mit den Dingen auf so gelehrte Art und Weise befaßt oder über so hervorragende Redner verfügt.«
    »Genau das hat die Dame auch gesagt. Sie war sehr zierlich, beinahe… so groß.« Monk zeigte mit der Hand Drusillas Größe an. »Sie hatte sehr hübsches, hellbraunes Haar und äußerst bemerkenswerte haselnußbraune Augen, sehr groß und freimütig, mit einem sehr direkten Blick.« Er haßte die Beschreibung, aber genau so war sie ihm erschienen. »Ich hatte den Eindruck, daß sie über eine beträchtliche Intelligenz sowie ein ungezwungenes Benehmen verfügte. Eine ungewöhnliche Frau, und sehr bewundernswert. Ich schätze, daß sie Anfang Dreißig ist.«
    »Klingt stark nach Miss Wyndham«, sagte der Portier nickend. »Eine sehr redegewandte junge Dame.«
    »Wyndham?«
    Monk hob die Augenbrauen, als hätte er ihren Namen bisher noch nicht gehört. »Könnte sie wohl Major Wyndhams Tochter sein, von den Husaren?« Soweit er wußte, gab es so einen Mann nicht.
    Der Portier schürzte zweifelnd die Lippen.
    »Ähm, nein, Sir, ich glaube nicht. Ich meine mich erinnern zu können, daß ich einmal ein Gespräch mit angehört habe, aus dem hervorgeht, daß Miss Wyndham aus Buckinghamshire kommt und ihr Vater ein Mann der Kirche war, bevor er allzufrüh verschieden ist, der arme Mann. Sehr traurig. Er kann nicht besonders alt geworden sein.«
    »Ja, wirklich traurig«, antwortete Monk, während seine Gedanken sich überschlugen. Buckinghamshire. Es sollte nicht schwierig sein, einen wohlhabenden Kirchenmann, der vor kurzem gestorben war, dort zu finden. Er mußte mehr als ein bloßer Pfarrer gewesen sein, und wahrscheinlich war sein Name ebenfalls Wyndham gewesen.
    »Ich nehme an, das liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück?« fragte er und versuchte seine Stimme möglichst beiläufig klingen zu lassen.
    »Das weiß ich wirklich nicht. Es wurde mit einiger Traurigkeit darüber gesprochen, aber das ist nur natürlich. Und sie war nicht mehr in Trauer.«
    »Ich möchte nur Bescheid wissen, damit ich mich entsprechend benehmen kann und um zu entscheiden, ob ich es erwähnen soll, falls ich ihr schreiben muß«, erklärte Monk.
    »Könnten Sie mir wohl die Adresse der Dame geben, damit ich sie um eine neue Liste der Orte bitten kann, die sie mir empfohlen hat?«
    »Nun, Sir, ich glaube, das wäre nicht recht schicklich«, sagte der Portier bedauernd, während er zwei Herren zunickte, die gerade vorbeigingen, und sich mit einer respektvollen Handbewegung an den Hut tippten. Dann wendete er

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