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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sir?«
    Der Gesichtsausdruck des Mannes verriet nichts, und Monk konnte sich nicht daran erinnern, wie sie früher miteinander ausgekommen waren. Wahrscheinlich nicht besonders gut. Monk war sein Vorgesetzter gewesen, und der Mann war in mittleren Jahren. Wahrscheinlich hatte Monk wenig Geduld mit ihm gehabt und ihn für zweitklassig gehalten. Jetzt fühlte er sich bei diesem Gedanken sehr unwohl.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um ein Verbrechen handelt oder nicht«, sagte er. »Ich brauche mehr Informationen und vielleicht auch einen Rat. Ist Mr. Evan auf dem Revier?«
    »Sie meinen also, es wird nicht nötig sein, daß Sie mit Mr. Runcorn sprechen?« sagte der Sergeant aufgeblasen, und ein ganz leichtes Lächeln spielte um seine Lippen.
    »Nein, das wird nicht nötig sein, vielen Dank.« Monk erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Hätte mich auch gewundert.« Das Lächeln des Sergeant wurde eine Spur breiter. »Habe den Fall Moidore nicht vergessen, Sir, o nein.«
    Monk zwang sich, das Lächeln zu erwidern. »Vielen Dank, Sergeant. Sie haben ein wirklich gutes Gedächtnis, vor allem, was die Auswahl der Dinge betrifft, an die Sie sich zu erinnern geruhen.«
    »Gern geschehen, Sir. Ich werde Mr. Evan für Sie holen.« Damit drehte er sich um und verschwand hinter der Tür, nur um nach einigen Sekunden wieder aufzutauchen. »Er möchte sich in fünf Minuten in dem Cafe um die Ecke mit Ihnen treffen, Sir. Das ist klüger, Sir.«
    »Ich bewundere einen klugen Mann«, gab Monk ihm recht »Vielen Dank, Sergeant.«
    Als Evan das Cafe betrat, lag in seinem langen, humorvollen Gesicht mit der aristokratischen Nase und dem melancholischen Mund ein Ausdruck von Besorgnis. Er nahm Monk gegenüber Platz und ignorierte den Kaffee, der vor ihn hingestellt wurde.
    »Worum geht es?« fragte er. »Es muß sehr wichtig sein, wenn Sie deswegen aufs Revier kommen.« Er sah Monk forschend an.
    »Sie sehen schlecht aus. Sind Sie krank?«
    Monk holte tief Atem und erzählte ihm so kurz, wie es ging, ohne irgend etwas Wesentliches auszulassen, die ganze Geschichte.
    Evan unterbrach ihn nicht, aber sein Gesichtsausdruck wurde immer unglücklicher, während Monks Bericht sich seinem Höhepunkt näherte.
    »Was kann ich tun?« sagte er schließlich, als Monk geendet hatte. »Sie wird doch bestimmt nicht versuchen, Sie vor Gericht zu bringen? Dann wäre sie genauso ruiniert… und sie könnte niemals irgend etwas beweisen! Das Schlimmste…« Er hielt inne.
    »Ja?« fragte Monk und biß sich auf die Lippen. »Sie wollten sagen, das Schlimmste, was passieren könnte, ist, daß man ihr in ihren eigenen Kreisen Glauben schenken würde? Nein, das ist nicht das Schlimmste, selbst die, die ihr nicht glauben, würden daran zweifeln, daß ich unschuldig bin.«
    Evan hatte seinen Kaffee nicht angerührt, und beide Männer nahmen das Treiben und den Lärm um sie herum, das leise Gemurmel und die Düfte der aufgetragenen Speisen überhaupt nicht wahr.
    »Nein, ich wollte eigentlich sagen, das Schlimmste, was ihr zugestoßen ist, ist, daß ihr Kleid zerrissen wurde. Sie hat in keiner Weise körperlichen Schaden genommen. Aber ich nehme an, ein zerrissenes Kleid ist genug. Es deutet auf die Absicht hin, sehr viel weiter zu gehen.« Evan warf einen angewiderten Blick auf seinen kalten Kaffee. »Wir müssen herausfinden, wer sie ist und warum sie mit aller Gewalt und um jeden Preis Rache will. Erzählen Sie mir alles, was Sie von ihr wissen, und ich werde sämtliche Akten Ihrer früheren Fälle durchforsten. Ihr Name ist Drusilla Wyndham? Wie alt ist sie? Wie sieht sie aus? Mit wem hat sie Umgang?«
    Monk begriff, wie wenig er wußte. Er fühlte sich töricht, und die Verlegenheit über diese Erkenntnis trieb ihm brennende Röte in die Wangen.
    »Ich weiß nicht einmal, ob dies ihr richtiger Name ist«, sagte er grimmig. »Ich habe sie nie in Gesellschaft irgendwelcher Leute gesehen. Ich kann lediglich schätzen, daß sie Anfang Dreißig ist. Sie ist sehr klein, schlank, zierlich, hat aber eine gute Figur - und ein wunderschönes Gesicht…« Er zuckte zusammen, als er das sagte. »Hellbraunes Haar, haselnußbraune Augen und eine wohltönende Stimme, die ein klein wenig ins Stocken gerät, wenn sie lacht. Ich habe keine Ahnung, wo sie lebt oder mit wem sie Umgang hat, nur daß sie die Geographische Gesellschaft anscheinend häufig aufsucht. Sie kleidet sich sehr gut, aber nicht extravagant. Ihre Hauptvorzüge sind Anmut und

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