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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich wieder Monk zu. »Verstehen Sie, Sir, ich fürchte, die Gesellschaft würde ein solches Tun nicht gutheißen. Ich bin sicher, Sie verstehen. Aber wenn Sie einen Brief schreiben wollen und ihn hier bei uns hinterlegen, könnte ich ihn selbstverständlich an sie weiterleiten.«
    »Natürlich. Ich verstehe. Vielleicht werde ich auf Ihr Angebot zurückgreifen.«
    Monk akzeptierte die Entscheidung des Portiers, denn ihm blieb nichts anderes übrig. Eine Reise nach Buckinghamshire schien sinnvoll zu sein, es sei denn, er fand einige Unterlagen über den verstorbenen Reverend Wyndham, ohne die Reise auf sich nehmen zu müssen. Er verließ die Geographische Gesellschaft, wenn schon nicht mit Hoffnung, so doch zumindest mit dem Gefühl, endlich etwas tun zu können.
    Aber selbst die gründlichste Durchsuchung des betreffenden Registers der Kirche förderte keinen Reverend Wyndham in Buckinghamshire zutage, genausowenig wie in irgendeinem anderen Teil des Landes. Langsamen Schrittes entfernte er sich über den Gehweg von der Bibliothek, und die Enttäuschung saß genauso tief in ihm wie die Kälte und Feuchtigkeit des Nachmittags.
    Vielleicht war er naiv gewesen zu glauben, es könnte so einfach sein. Entweder stimmte die Information nicht und sie hatte sich das Ganze nur ausgedacht, oder die Sache war im Grunde wahr, aber sie hatte ihren Namen geändert, wahrscheinlich, um der Schande zu entgehen, die mit dem Verbrechen einherging, das Monk seinerzeit auf den Plan gerufen hatte.
    Er beachtete weder eine Blumenverkäuferin noch den Jungen, der die letzte Ausgabe der Zeitung feilbot.
    Vielleicht hatte das Ganze auch überhaupt nichts mit seinem Beruf zu tun. Vielleicht hatte er sie rein persönlich kennengelernt. Ihr Gefühl der Gekränktheit könnte einem Treuebruch, den er begangen hatte, entspringen.
    Bei diesem Gedanken wurde ihm kalt. Hatten sie einander geliebt, und er hatte sie verlassen? Hatte es vielleicht ein Kind gegeben, und er hatte sie sitzengelassen, statt die Verantwortung zu übernehmen? Das konnte durchaus sein. Männer taten so etwas schon seit ewigen Zeiten. Gott allein wußte, wie viele uneheliche Kinder es überall im ganzen Land gab und wie viele verpfuschte Abtreibungen. Er hatte solche Dinge selbst gesehen - gewiß unzählige Male vor seinem Unfall und sogar danach. Wenn das stimmte, konnte sie ihn nicht tiefer hassen, als er selbst sich hassen würde. Er verdiente den Ruin, den sie ihm wünschte.
    Er kam an einem Mann vorbei, der heiße Pasteten verkaufte, und einen Augenblick lang führte der köstliche Duft ihn in Versuchung, bis sein Magen bei dem Gedanken an etwas Eßbares revoltierte.
    Er mußte die Wahrheit wissen - um jeden Preis, wie mühsam oder schmerzlich sie auch sein mochte, er mußte es wissen.
    Und wenn er etwas Derartiges getan hatte, wie sollte er es Hester erklären? Das würde sie ihm nicht verzeihen. Sie würde nicht mehr mit ihrem Mut und ihrem Kampfgeist an seiner Seite stehen und für ihn eintreten, um wieder nach oben zu kommen.
    Genausowenig wie Callandra. Oder John Evan, was das betraf.
    Er mußte der erste sein, der es erfuhr.
    Aber was sollte er als nächstes unternehmen? Wenn Drusilla ihren Namen geändert hatte, gab es unendlich viele Möglichkeiten, wie sie vorher geheißen haben konnte.
    Er trat vom Gehsteig auf die Straße und lief zwischen Kutschen und Pferdemist hindurch auf die andere Seite.
    Allerdings wußte er, daß beinahe alle Menschen eine gewisse Verbindung mit ihrer Vergangenheit aufrechterhalten, eine Brücke zu ihrer früheren Identität. Sehr häufig gab es eine Ähnlichkeit, was den Klang des Namens betraf, den Anfangsbuchstaben oder einen anderen gedanklichen Zusammenhang. Manchmal war es ein Familienname, der Mädchenname der Mutter oder Großmutter zum Beispiel.
    Er wollte gerade den Bürgersteig auf der anderen Seite betreten, als ein Landauer ihn um knapp einen Meter verfehlte.
    Vielleicht stimmte der Teil ihrer Geschichte, der sich auf Buckinghamshire bezog? Oder auf die Kirche?
    Er drehte sich auf dem Absatz um, überquerte die Straße noch einmal und ging zurück in die Bibliothek, wo sich das Verzeichnis des anglikanischen Klerus befand, und bat darum, noch einmal Einsicht nehmen zu dürfen. Diesmal suchte er in dem Register von Buckinghamshire nach älteren Kirchenmännern, die innerhalb der letzten zehn Jahre gestorben waren.
    Aber er fand niemanden, dessen Name eine wenn auch noch so entfernte Verbindung mit Drusilla Wyndham hergestellt

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