Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
nächster Klient wartete.
    »Dann sollten Sie wenigstens um Ihres eigenen Seelenfriedens willen alles daransetzen herauszufinden, wer sie ist«, sagte er grimmig. »Und wichtiger noch, wer sie war und warum sie Sie so sehr haßt, daß sie so weit gehen würde.«
    »Vielen Dank«, murmelte Monk, als er hinausging und die Tür hinter sich schloß. Um ein Haar wäre er mit dem Sekretär zusammengestoßen, der schon darauf gewartet hatte, daß er den Gentleman, der ungeduldig hinter ihm stand, endlich in Rathbones Büro führen konnte.
    Natürlich hatte Rathbone recht. Eigentlich hätte er niemanden gebraucht, der ihm das sagte, es war einfach eine Erleichterung, die Worte von jemand anderem zu hören, vor allem von jemandem, der trotz früherer Meinungsverschiedenheiten seiner Schilderung der Ereignisse zumindest Glauben schenkte. Und sein Rat bezüglich der Frage, wo er mit der Suche beginnen sollte, war vernünftig. Tief in Gedanken versunken ging er die Vere Street entlang, blind gegenüber anderen Fußgängern oder Kutschen, die an ihm vorüberfuhren.
    Ihm stand nur ein einziger Weg offen, und sosehr der ihm auch widerstrebte, wagte er doch nicht, ihn hinauszuzögern. Er mußte in den Akten seiner früheren Fälle suchen und sich bemühen, den Fall zu finden, der Drusilla, wenn auch indirekt, betroffen hatte. Zumindest hatte Rathbones Vorschlag ihm geholfen, einen Anfang zu finden. Es war natürlich unmöglich, in dieser Sache an Runcorn heranzutreten. Es würde ihm die größte Freude bereiten, Monks üble Situation noch zu verschlimmern, indem er ihm den Zugang zu den Akten verwehrte. Er hatte keinen Zugriff mehr auf die Informationen, die der Polizei vorlagen, und Runcorn würde vor dem Gesetz vollkommen korrekt handeln, wenn er seine Bitte ablehnte. Außerdem würde er ihm endlich das wunderbare Gefühl bescheren, den Sieg davongetragen zu haben, und das nach all den Jahren, in denen Monk ihm im Nacken gesessen, ihn verspottet und überflügelt hatte. Und er würde seinen Gedächtnisverlust eingestehen müssen. Er hatte nie ganz sicher gewußt, wieviel Runcorn ahnte, aber sie hatten auch niemals darüber gesprochen. Runcorn hatte nie die Befriedigung erfahren, sich seiner Sache ganz sicher sein zu dürfen, endgültig zu wissen, daß Monk wußte, daß er es wußte.
    Er bog von der Great Wild Street in die Drury Lane ein.
    Bei John Evan lagen die Dinge anders, ganz anders. Er hatte Monk vor dem Unfall gekannt und die Wahrheit erraten, da er in jenem ersten schrecklichen Fall so eng mit ihm zusammengearbeitet hatte. Er hatte sich als guter Freund erwiesen und war, so unwahrscheinlich es in dieser denkbar schwierigen Situation erscheinen mochte, immer loyal gewesen. Er war jung, voller Charme und Begeisterung, der Sohn eines Landpfarrers, der über keinerlei finanzielle Mittel verfügte, dafür aber jene selbstverständliche Ungezwungenheit besaß, die den Menschen zu eigen war, die in diesen Stand hineingeboren wurden und in besseren Zeiten den niederen Adel repräsentiert hatten. Evan hatte ihn bewundert und beschlossen, nur das Beste in ihm zu sehen. Das war der Grund, warum es jetzt so schmerzlich für ihn war, ihn von seinem Problem unterrichten und um die Hilfe bei der Aufdeckung dieses Falls bitten zu müssen.
    Beinahe hätte er seine Meinung noch geändert und ihn doch nicht aufgesucht. Vielleicht würde es gar nichts nützen, und er würde lediglich Evans Wertschätzung früher als unbedingt nötig verlieren.
    Das war jedoch nicht nur ein feiger Ausweg, es war auch ein törichter. Evan würde es früher oder später erfahren. Dann also lieber sofort und aus Monks Mund. Besser, er sah ihn wenigstens kämpfen, als daß er sich ohnmächtig dem Feind ergab. Er winkte eine Droschke herbei und fuhr bis zu der Straßenecke, die seinem alten Polizeirevier am nächsten lag.
    Es war ein schöner Morgen. Das hatte er bisher kaum wahrgenommen. Die Sonne hatte das Eis auf dem Gehweg bereits geschmolzen, und die Geschirre der vorbeifahrenden Pferdekutschen glitzerten und glänzten im Sonnenlicht. Ein Botenjunge pfiff munter vor sich hin, während er beschwingt die Straße hinunterlief.
    Als er das Revier erreicht hatte, ging er, ohne zu zögern, die Treppe hinauf und trat ein; wäre es anders gewesen, hätte er vielleicht den Mut verloren.
    »Morgen, Mr. Monk«, sagte der diensthabende Polizeibeamte überrascht. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich würde gern mit Mr. Evan sprechen.«
    »Wegen eines Verbrechens,

Weitere Kostenlose Bücher