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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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irgendeiner Weise verschuldet zu haben!
    Sie zerriß den Brief und warf die Schnipsel in den Abfalleimer, bevor sie sich von neuem über ein Blatt beugte.
    Dieses zweite Schreiben fiel sehr viel zurückhaltender aus und konnte mißverständlich ausgelegt werden. Es war auf eine Weise verfaßt, die es, wenn man seine Phantasie ein wenig bemühte und ein Gutteil Nachsicht walten ließ, gestattete, eine einigermaßen unschuldige Erklärung zu finden.
    So war es schon besser. Sie hoffte, daß sie den Inhalt nicht zu sehr abgemildert hatte und der Brief trotzdem noch die notwendigen Befürchtungen wecken würde; schließlich sollte der Empfänger allem, was Drusilla möglicherweise vorbrachte, mißtrauen, er sollte ein wenig Angst um seine eigene Person und Mitgefühl mit einem anderen Mann haben, dessen Worte oder Taten von einer eitlen Frau falsch ausgelegt worden waren.
    Sie schrieb noch einige weitere Briefe in diesem Stil. Als sie ihre Feder um Viertel nach zehn aus der Hand legte, schmerzte ihre Hand, und ihre Augen brannten.
    Zwei Tage später öffnete Lord Fontenoy am Frühstückstisch seine Post. Es schien sich um die üblichen Rechnungen, Einladungen und höflichen Briefen der einen oder anderen Art zu handeln. Keines der Schreiben stieß auf ungewöhnliches Interesse bei ihm, und ganz gewiß war nichts Beängstigendes dabei… bis er zu dem letzten Umschlag kam.
    Lady Fontenoy, die einen Brief von ihrer Cousine in Wales gelesen hatte, hörte den seltsamen Laut, den er ausstieß, blickte auf und vergaß dann mit einiger Besorgnis ihre eigene Post.
    »Ist alles in Ordnung mit dir, mein Lieber? Du siehst gar nicht gut aus. Schlimme Nachrichten?«
    »Nein!« sagte er überlaut. »Nein, überhaupt nicht«, fügte er hinzu. »Es ist nur eine Kleinigkeit.« Er bemühte sich, eine plausible Lüge zu ersinnen, etwas, das sein bleiches Gesicht und seine zitternden Hände erklären konnte, ohne jedoch ihre Neugier so weit zu erregen, daß sie das unglückselige Schreiben lesen wollte… was er ihr natürlich verweigern konnte, aber er hatte nicht den Wunsch, ihren Argwohn zu wecken. Sein häusliches Leben war überaus angenehm, und es war ihm sehr daran gelegen, daß das so blieb. »Nein, meine Liebe, es ist nur ein ausgesprochen törichter Brief von jemandem, der Schwierigkeiten in einem Bereich machen will, in dem ich es nicht erwartet hätte. Es ist unangenehm, aber nichts, weswegen wir uns übermäßige Sorgen machen müßten.« Vielleicht reagierte er übertrieben. Er dachte noch einmal über den Inhalt des Schreibens nach. Er hatte ihn anfangs entsetzt, aber bei nochmaligem Nachdenken waren die Worte zweideutig, und der fordernde Charakter, den er zuerst in sie hineininterpretiert hatte, trat ein wenig in den Hintergrund.
    »Bist du sicher?« bedrängte Lady Fontenoy ihn. »Du siehst sehr blaß aus, Walter.«
    »Ich habe meinen Tee ein wenig hastig heruntergeschluckt«, erwiderte er. »Ich fürchte, ich habe ihn in die falsche Kehle bekommen. Unangenehm. Bitte, beunruhige dich nicht. Wie geht es Dorothea? Das ist doch ein Brief von Dorothea, oder?«
    Ihr war klar, daß das Gespräch damit beendet war. Sie wußte, daß er es nicht noch einmal erwähnen würde, aber sie wußte auch nur allzu gut, daß ihn der Brief, den er bekommen hatte, gründlich aus der Fassung gebracht hatte, und sie fand den ganzen Tag über keine Ruhe mehr.
    Sir Peter Welby hatte sich ebenfalls sehr über seine Morgenpost aufgeregt. Da er noch Junggeselle war, obzwar er kurz vor einer sehr günstigen Heirat stand, frühstückte er allein, abgesehen von der distanzierten Anwesenheit seines Dieners.
    »Gütiger Gott!« rief er, als er das bestürzende Schreiben gelesen hatte. Wenn es in die falschen Hände fiel, konnte es größten Schaden anrichten.
    »Sir?« sagte sein Diener fragend.
    Seine Reaktion bestand darin, das Blatt zu zerreißen, in so kleine und so viele Stücke wie nur möglich, und sie dann in das Feuer im Frühstückszimmer zu werfen. Er erinnerte sich ganz deutlich an die Frau. Er hatte mit ihr getanzt, mehrmals sogar. Sie war sehr hübsch und hatte etwas an sich, das höchst attraktiv war. Sie hatte Witz und, wie er geglaubt hatte, Verstand. Aber sie konnte nicht recht bei Trost sein, wenn sie einen wirklich harmlosen Flirt als etwas Tiefergehendes verstanden und geglaubt hatte, daß er auch nur die leiseste Absicht haben konnte, ausgerechnet jetzt ihre Beziehung zu vertiefen!
    Wenn sie wirklich meinte, was sie da andeutete,

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