Sein Bruder Kain
Gentleman gab sich nur seinen Vergnügungen hin; er arbeitete nicht für sein Geld.
Sie blickte zu Enid hinüber. Dort lag die Antwort.
Natürlich konnte sie ihr unmöglich erzählen, warum sie sich danach erkundigte, nicht weil sie Monk beschützen mußte - Enid hätte so etwas nicht von ihm geglaubt. Nun, was das betraf, konnte Hester die Geschichte leicht abwandeln. Aber Enid würde sicher die ernstesten Zweifel bezüglich des Planes hegen, den Hester sich ausgedacht hatte. Ja, es war durchaus denkbar, daß sie ihr in diesem Fall die gewünschten Informationen überhaupt nicht geben würde.
Sie mußte in Erfahrung bringen, was sie wissen wollte, ohne einen Grund dafür anzugeben. Und vielleicht würde sich das auch gar nicht als so schwierig erweisen. Hester konnte Enid nach der letzten Gesellschaft fragen, die sie besucht hatte, wer dort gewesen war, wie die Leute gekleidet waren, wer mit wem tanzte, wer mit wem geflirtet hatte, was es zu essen gab. Sie konnte sie sogar bitten, ihr von mehreren Festlichkeiten zu erzählen. Enid kannte sie nicht so gut, um zu wissen, daß sie sich sonst nichts aus solchen Dingen machte.
Es konnte gelingen. Sie würde damit anfangen, sobald Enid aufwachte. Monk selbst konnte dann die notwendigen Adressen herausfinden, wenn es keine einfachere Art gab, sie in Erfahrung zu bringen. Sie konnte mit zehn Leuten oder einem Dutzend beginnen. Jedenfalls durfte sie keine Zeit verlieren.
»Sie müssen ein paar wunderbare Gesellschaften besucht haben«, sagte sie voller Enthusiasmus, als Enid aufwachte und Hester die Kissen aufschüttelte und ihr eine leichte Mahlzeit brachte. »Bitte, erzählen Sie mir doch davon. Ich würde schrecklich gern mehr darüber wissen.«
»Wirklich?« fragte Enid zweifelnd. »Ich hätte nicht gedacht, daß solche Dinge Sie auch nur im mindesten interessieren würden.« Sie sah Hester aus schmal gewordenen Augen an, und in ihrem Blick stand deutliche Belustigung.
»Menschen interessieren mich immer«, sagte Hester wahrheitsgemäß. »Sogar Menschen, mit denen ich nicht unbedingt längere Zeit zusammensein möchte. Bitte, erzählen Sie mir doch von dem letzten großen Gesellschaftsereignis, bei dem Sie zugegen waren.
Wer war da? Was haben die Leute sich erzählt? Was haben sie getan?«
»Wer war wo?« wiederholte Enid gedankenverloren und schaute an Hester vorbei auf die Gardinen. »Nun… ich erinnere mich an John Pickering, weil er diese abscheuliche Geschichte über den Bischof erzählt hat…« Sie ließ ihre Gedanken mit einem leichten Lächeln schweifen, und ganz allmählich erfuhr Hester von ihr, was sie wissen wollte, wobei sie sich jedes für sie wichtige Detail genau einprägte.
Am nächsten Tag suchte sie Monk, der müde und gereizt aussah, in seiner Wohnung auf. Sie hätte vielleicht versucht, ihm Mut zu machen, hätte sie die Zeit dazu gehabt und sich nicht so sehr davor gefürchtet, daß er ihren Plan irgendwie erraten und sie davon abhalten könnte.
»Haben Sie den abscheulichen Brief, den diese Frau Ihnen geschrieben hat, noch?« erkundigte sie sich hastig.
Er stand am Feuer und sorgte auf diese Weise dafür, daß Hester nichts von der Wärme zu spüren bekam, obwohl ihm das wahrscheinlich nicht bewußt war.
»Warum?« fragte er. »Ich habe ihn mehrmals gelesen. Er gibt keinerlei Hinweise darauf, warum sie mich haßt oder wer sie wirklich ist, abgesehen von den offensichtlichen Tatsachen.«
»Haben Sie ihn noch oder nicht?« fragte Hester scharf. »Bitte, nörgeln Sie nicht an allem herum, was ich sage. Dazu haben wir jetzt wirklich keine Zeit.«
»Sie haben doch sonst überhaupt nichts gesagt«, bemerkte er.
»Und ich werde auch keine Zeit dazu haben, wenn Sie weiter so pedantisch sind. Haben Sie den Brief?«
»Ja!«
»Dürfte ich ihn dann bitte sehen?«
»Wozu?« Er rührte sich nicht von der Stelle.
»Holen Sie ihn!« befahl sie.
Er zögerte, als wolle er weitere Einwände erheben, beschloß dann aber wohl, daß es der Anstrengung nicht wert wäre. Er ging zu seinem Schreibtisch, nahm den Brief heraus und reichte ihn mit einem angewiderten Blick Hester.
»Vielen Dank.« Sie steckte ihn in ihre Tasche und faltete dann das Stück Papier auf, auf das sie die Adressen von achtzehn Herren geschrieben hatte, die für ihre Zwecke in Frage kamen.
»Ich brauche die Londoner Adressen von möglichst vielen dieser Männer, es sei denn, sie halten sich zur Zeit auf dem Land auf«, forderte sie energisch und reichte ihm das Blatt.
»Dann
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