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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hilft uns das nicht weiter. Ich brauche mindestens zwölf Leute, und zwar bis morgen mittag, wenn Sie so freundlich sein wollen. Es ist ungeheuer wichtig. Sie können die Adressen in meiner Wohnung hinterlassen, in einem versiegelten Umschlag. Sie müssen es schaffen.« Sie wandte sich zum Gehen. »Es tut mir leid, daß ich nicht bleiben kann, aber ich habe noch viel zu tun. Gute Nacht.«
    »Hester!« rief er. »Wozu? Wozu brauchen Sie die Adressen um alles in der Welt? Was haben Sie vor?« Er eilte hinter ihr her zur Tür, aber sie hatte bereits ihre Hand auf den Türknauf gelegt.
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt, ich habe jetzt keine Zeit mehr, darüber zu reden«, antwortete sie schroff. »Ich werde es später erklären. Bitte, tun Sie, worum ich Sie gebeten habe, und zwar so schnell wie möglich. Gute Nacht.«
    Sie machte sich ans Werk, sobald sie in ihrer Wohnung war, wo ihre Vermieterin sich überrascht zeigte, sie zu sehen, da sie in letzter Zeit so selten zu Hause war. Hester unterhielt sich kurz freundlich mit ihr, sagte, wie schön es sei, wieder einmal in den eigenen vier Wänden zu sein, und erzählte, daß sie vorhabe, den Abend damit Zu verbringen, einige Briefe zu schreiben. In dem unwahrscheinlichen Fall, daß jemand sie besuchen wolle, sehe sie sich außerstande, ihn zu empfangen.
    Ihre Vermieterin sah sie sowohl bestürzt als auch erschrocken an, konnte sich aber nicht dazu durchringen, um eine Erklärung zu bitten. Ein solches Benehmen vertrug sich nicht mit der Würde einer Dame, und da sie als solche angesehen werden wollte, konnte sie keine so vulgäre Eigenschaft wie Neugier an den Tag legen.
    Sobald sie gegessen hatte, begann Hester mit der Arbeit, wobei sie ihr Bestes tat, Drusillas verschnörkelte, unregelmäßige Handschrift nachzuahmen.
    Mein Geliebter, ich brenne noch immer von der Freude unserer letzten Begegnung. Natürlich verstehe ich, daß es notwendig ist, unsere Beziehung geheimzuhalten, zumindest für den Augenblick, aber die Zärtlichkeit Deiner Augen war genug, um mich bis in meine Seele erschauern zu lassen…
    Es machte regelrecht Spaß, die zügellose Leidenschaft in Worte zu fassen. Nie und nimmer hätte sie etwas Derartiges geschrieben, wenn sie ihren eigenen Namen darunter gesetzt hätte, ganz gleich, wie ihre Gefühle aussehen mochten. Sie fuhr fort.
    Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir allein sein können, damit diese Verstellung nicht länger notwendig ist, nach dem Tag, an dem du mich in Deine Arme nehmen kannst und wir uns all der Leidenschaft hingeben können, von der ich weiß, daß Du sie genauso empfindest wie ich, diese Leidenschaft, die mich schier zerreißt. Mein ganzes Wesen verlangt nach Dir. Meine Träume sind mit Deinem Anblick erfüllt und mit dem Klang Deiner Stimme, der Berührung Deiner Haut auf der meinen, der Sanftheit Deines Mundes…
    Ach herrje! War sie zu weit gegangen?
    Aber genau das beabsichtigte sie mit diesen Briefen: Sie sollten so peinlich und so unerträglich wie nur möglich sein. Der Mann, der diesen Brief bekam, mußte Drusilla Wyndham mit einem Abscheu betrachten, der an Entsetzen grenzte. Sie schrieb weiter.
    Ich weiß all die Dinge, die Du nicht zu sagen wagst. Ich verstehe auch Deine gelegentliche Kälte mir gegenüber, wenn wir uns zufällig in der Öffentlichkeit begegnen. Ich brenne innerlich, mein Herz schmilzt vor Sehnsucht, endlich aller Welt sagen zu können, daß wir uns lieben, auch wenn wir diesen letzten Schritt noch nicht wagen, aber ich werde warten, denn ich weiß, es wird nicht für immer sein, und bald, sehr bald, mein Liebster, wirst Du die Bande durchtrennen, die Dich jetzt an Deine Frau ketten, und wir werden frei sein in unserer Liebe für alle Zeit. Deine einzige wahre Liebe, Drusilla…
    Das war's! Wenn das den Mann nicht bis unter die Haarspitzen erröten ließ, dann war er ein Lebemann und ein Schuft und hatte nicht die Spur von Anstand.
    Natürlich hatte sie sich nur verheiratete Männer ausgesucht oder solche, die bald heiraten würden.
    Sie las noch einmal, was sie geschrieben hatte. Vielleicht war es ein wenig extrem! Was Drusilla getan hatte, war abscheulich, aber ein einziger solcher Brief konnte ihr nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen, mehrere davon würden sie vernichten, und damit wäre Hester in moralischer Hinsicht nicht besser gewesen als Drusilla selbst. Es versetzte ihr einen scharfen Stich, als ihr klarwurde, daß sich nicht einmal Monk ganz sicher war, Drusillas Haß nicht in

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