Sein Bruder Kain
nahm er Niven aus irgendeinem von einem Dutzend möglichen Gründe in Schutz, zu denen auch die Übereinkunft, irgend etwas zu vertuschen, gehören könnte?
»Warum ist Mr. Niven hergekommen?« wiederholte Monk.
»Wie war er angezogen? Wie hat er sich benommen?« Als Arbuthnot abermals zögerte, wurde er ungeduldig. »Wenn Sie wollen, daß ich auch nur die geringste Chance habe, Mr. Stonefield zu finden, müssen Sie mir die reine Wahrheit sagen!«
Arbuthnot bemerkte die Schärfe in Monks Stimme, sein ausweichendes Verhalten machte tiefem Mitleid und Unbehagen Platz.
»Er kam, um festzustellen, ob wir ihm irgendwelche Aufträge zuschanzen könnten, Sir. Ich fürchte, die Dinge sind sehr schwierig für ihn. Er wußte, daß Mr. Stonefield ihm helfen würde, wenn er könnte, aber ich fürchte, im Augenblick war einfach nichts zu machen. Er hat ihm allerdings ein Empfehlungsschreiben gegeben, in dem er seine Ehrlichkeit und Sorgfalt betonte, für den Fall, daß so etwas ihm nützlich sein könnte.« Er schluckte.
»Und sein Benehmen?« drang Monk weiter in ihn.
»Besorgt«, erwiderte Arbuthnot schnell. »Am Ende seiner Kraft, der arme Mann.« Sein Blick hob sich, und er sah Monk in die Augen. »Aber ein Gentleman bis ins Mark, Sir. Keinen Augenblick lang hat er sich dem Selbstmitleid überlassen oder Ärger auf Mr. Stonefield gezeigt. Die simple Wahrheit ist, daß er im Gegensatz zu Mr. Stonefield in Geschäftsdingen eine Fehlentscheidung getroffen hat, und das zu einem Zeitpunkt im ständigen Auf und Ab des Geschäftslebens, da es ihn teuer zu stehen gekommen ist. Ich glaube, er hat das genauso gesehen und die Sache aufgenommen wie ein Mann.«
Monk neigte dazu, ihm zu glauben, aber er hatte dennoch die Absicht, Titus Niven persönlich kennenzulernen.
»War er der einzige Besucher?« fragte er.
Röte stieg in Arbuthnots Gesicht, und er brauchte mehrere Sekunden, um sich eine Antwort zurechtzulegen. Er hatte die Hände ineinander verschränkt und vermied es, Monk in die Augen zu sehen.
»Nein, Sir. Da war noch eine Dame… zumindest eine weibliche Person. Ich weiß nicht, wie ich sie beschreiben soll…«
»Ehrlich!« sagte Monk knapp.
Arbuthnot holte tief Luft und atmete dann langsam wieder aus.
Monk wartete.
Arbuthnot nahm die Aufforderung, ehrlich zu sein, sehr wörtlich, als könne er damit der Notwendigkeit entgehen, eine persönlichere Meinung auszusprechen.
»Durchschnittlich groß, vielleicht ein wenig mager, aber das ist Ansichtssache, nehme ich an. Recht gut gebaut, ja wirklich, wenn man bedenkt, woher sie kam…«
»Woher kam sie denn?« unterbrach ihn Monk. Der Mann schweifte langsam vom Thema ab.
»Oh, irgendwo aus Limehouse, würde ich sagen, jedenfalls ihrer Sprache nach zu urteilen.« Unbewußt blähte Arbuthnot die Nasenflügel und preßte die Lippen zusammen, als nähme er einen ekelerregenden Geruch wahr. Allerdings konnte das, wenn er sich nicht irrte und sie tatsächlich aus den Elendsvierteln des Hafens im East End kam, durchaus der Fall gewesen sein. Die feuchten, überfüllten Räume, die offenen Müllkippen, die Abwässer vom Fluß machten alles andere unmöglich.
»Hübsch«, sagte Arbuthnot traurig. »Das zumindest hat die Natur ihr mitgegeben, auch wenn sie ihr Bestes tat, diesen Umstand mit Farbe und grellen Kleidern zu verbergen. Sehr aufdringlich.«
»Eine Prostituierte?« fragte Monk rundheraus.
Arbuthnot zuckte zusammen. »Ich habe keine Ahnung. Sie sagte nichts, was darauf hätte schließen lassen.«
»Was hat sie denn gesagt? Um Himmels willen, muß ich Ihnen denn jede Antwort aus der Nase ziehen? Wer war sie und was wollte sie? Sie wollte doch bestimmt keine Termingeschäfte machen!«
»Natürlich nicht!« Arbuthnot errötete heftig. »Sie fragte nach Mr. Stonefield, und als ich ihn von ihrer Anwesenheit informierte, ließ er sie augenblicklich zu sich kommen.« Er holte noch einmal tief Luft. »Das war nicht ihr erster Besuch hier. Sie war, soweit ich weiß, bereits zweimal hier. Als Namen hat sie Selina angegeben, nur das, keinen Nachnamen.«
»Vielen Dank. Was hat Mr. Stonefield von ihr erzählt? Hat er ihre Besuche hier erklärt?«
Arbuthnots Augen weiteten sich. »Nein, Sir. Es stand uns nicht zu nachzufragen, wer sie war.«
»Und er hatte nicht das Bedürfnis, es Ihnen zu erzählen?« Monk ließ seine Überraschung durchblicken. »Was glaubten Sie denn, wer diese Frau war? Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten nicht darüber nachgedacht.«
»Nun,
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