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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Fall, daß Mr. Stonefield zurückkehren sollte, müssen die Dinge hier weitergehen…«
    Monk nickte und sagte nichts. Er stand auf und zog seinen Mantel an. Arbuthnot führte ihn durch das Büro, in dem die Angestellten mittlerweile eifrig über Briefe, Geschäftsbücher und Notizen gebeugt saßen. Der Raum war hell erleuchtet, jede Lampe brannte, und gepflegte Köpfe neigten sich über Schreibfedern, Tinte und Papier. Kein Laut war zu hören, bis auf das Kratzen der Federn und das sanfte Zischen des Gases. Niemand sah auf, als er durch den Raum ging, aber er wußte, sobald er draußen war, würden Getuschel und reger Blickwechsel einsetzen.
    Monk vermutete, daß Stonefield ins East End gefahren war, um auf eine Nachricht zu reagieren, die entweder direkt von Caleb kam oder diesen doch zumindest betraf. Eine andere Erklärung gab es nicht. Als er die Treppe hinunter auf die windige Straße ging und sich seinen Mantel wieder zuknöpfte, ging ihm allerdings durch den Sinn, daß die Frau, Selina, in irgendeiner Beziehung zu Stonefield stehen konnte, die nichts mit Caleb zu tun hatte. Einige äußerst respektable Männer mit makellosem Privatleben hatten gleichwohl etwas für die derberen Reize der Frauen von der Straße übrig und unterhielten einen zweiten Haushalt, von dem man im ersten nicht das geringste wußte. Diese Möglichkeit verwarf Monk jedoch wieder, weil er nicht glaubte, daß Stonefield so unbesonnen gewesen wäre, einer solchen Frau, wenn es sie denn gegeben haben sollte, seine Geschäftsadresse zu nennen. So ein Verhalten wäre geradezu lächerlich gefährlich gewesen und vollkommen unnötig. Arrangements dieser Art konnten nur dann von Dauer sein, wenn sie absolut geheimgehalten wurden.
    Mit schnellen Schritten ging er bis zur Brücke hinunter. Vielleicht war es sehr unprofessionell, aber er glaubte Genevieve, daß Angus Stonefield seinen Bruder aufgesucht und daß diesmal der Streit zwischen ihnen mit einer Gewalttat geendet hatte, bei der Angus entweder so schwer verwundet worden war, daß er nicht nach Hause zurückkehren oder auch nur eine Nachricht schicken konnte, oder aber er war jetzt tot, und das Beste, was Monk tun konnte, war, einen Beweis dafür zu finden, der ausreichte, um seiner Witwe Zugang zu seinem Vermögen zu verschaffen.
    Als erstes mußte er den Droschkenkutscher finden, der Angus am Morgen seines Verschwindens ins East End gefahren hatte. Wahrscheinlich war es jemand aus den Ställen in der näheren Umgebung; wenn nicht, würde er von dort aus die Kreise seiner Nachforschungen ausweiten.
    Es kostete ihn schließlich fünf kalte und ermüdende Stunden und mehr als eine falsche Spur, bevor er sicher war, den richtigen Mann gefunden zu haben. Er traf ihn am Nachmittag in der Stamford Street in der Nähe des Flusses. Er stand an einem flachen, offenen Kohleofen, über dem er sich die steifgefrorenen Finger auftaute, und trat von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten. Sein Pferd, das hinter ihm stand, schnaubte seinen Atem in die kalte Luft und wartete ungeduldig mit gesenktem Kopf auf den nächsten Fahrgast und die Gelegenheit, sich zu bewegen.
    »Soll's wo hingehen, Chef?« fragte der Kutscher hoffnungsvoll.
    »Kommt drauf an«, erwiderte Monk, der neben ihm stehengeblieben war. »Haben Sie letzten Dienstag etwa gegen halb elf Uhr morgens einen Fahrgast an der Waterloo Road aufgenommen und ihn dann vielleicht nach Osten gefahren? Großer, dunkler Gentleman mit Überzieher, Zylinder und Regenschirm.« Er zeigte ihm Lady Ravensbrooks Zeichnung.
    »Un' was wär', wenn ich's getan hätt?« erkundigte sich der Droschkenkutscher vorsichtig.
    »Dann wäre eine heiße Tasse Tee mit einer Prise von was Stärkerem für Sie drin und eine Fahrt dorthin, wo Sie ihn abgesetzt haben«, erwiderte Monk. »Und jede Menge Unannehmlichkeiten, wenn Sie mich anlügen.«
    Der Kutscher wandte sich ruckartig von dem Feuer ab und sah Monk aus schmal gewordenen Augen an.
    »Na, da soll mich doch! Wenn das nicht Inspektor Monk ist«, sagte er überrascht. »Sind aber nicht mehr bei den Bullen, oder wie? Hab' so was läuten hören.« Weder seine Stimme noch sein Gesicht ließen irgendwelche Rückschlüsse auf seine Gefühle diesbezüglich zu.
    Damit hatte er bei Monk einen wunden Punkt berührt. Seine Kündigung bei der Polizei war ihm durch jenen letzten Streit mit Runcorn aufgezwungen worden. Die Tatsache, daß er am Ende recht und Runcorn unrecht behalten hatte, war ihm nicht weiter von Nutzen

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