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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht mehr hier. Haben alles verkauft. Sind nach London gezogen, heißt es.«
    »Es überrascht mich, daß der Besitz kein unveräußerliches Erbgut war«, sagte Monk, obwohl das nicht zur Sache gehörte.
    »Wird es wohl gewesen sein.« Der Stationsvorsteher wiegte den Kopf hin und her. »Aber Lord Milo war der letzte Nachkomme, es gab keinen Grund, warum er nicht verkaufen sollte, wenn er wollte. Muß ihm ein hübsches Sümmchen eingebracht haben.« Er tippte sich respektvoll an die Mütze, als zwei Herren vorübergingen und durch das Tor auf die Straße traten.
    »Keine Brüder, nicht einmal Vettern?« Monk hatte keinen besonderen Grund, diese Frage zu stellen, sie kam ihm nur plötzlich in den Sinn.
    »Nein, Sir. Seine Lordschaft hatte einen Bruder, der jünger war als er, aber der arme Teufel starb. War ein Unfall, in Italien oder so.« Er schüttelte den Kopf. »Es heißt, er sei ertrunken. Jammerschade, das. Er war ein sehr charmanter Herr, wenn auch ein wenig ungezügelt. Sehr gutaussehend und ein bißchen locker mit den Damen, und mit seinem Geld auch. Trotzdem ein trauriges Ende für einen so jungen Menschen.«
    »Wie alt war er?« Auch das spielte eigentlich kaum eine Rolle.
    »Nicht älter als einunddreißig oder zweiunddreißig«, antwortete der Stationsvorsteher. »Es ist alles so lange her jetzt, schon mehr als ein Vierteljahr hundert, eher sogar fünfunddreißig Jahre.«
    »Wissen Sie zufällig, ob noch irgendwelche alten Diener im Haus leben?«
    »O nein, Sir. Als Seine Lordschaft wegzog, sind auch die Diener gegangen. Colonel Patterson hat seinen eigenen Haushalt mitgebracht.«
    »Gibt es denn niemanden mehr hier im Dorf, der seinerzeit im Haus lebte?« drang Monk weiter in ihn. »Was ist mit Personal, das nicht im Hause lebte? Ein Gärtner, ein Wildhüter, ein Kutscher? Haben Sie vielleicht noch denselben Pfarrer wie seinerzeit?«
    Der Stationsvorsteher nickte. »O ja. Das Pfarrhaus ist gegenüber der Kirche, direkt hinter der zweiten Ulmengruppe da.« Er zeigte mit dem Finger auf einige Bäume. »Können Sie gar nicht verfehlen. Folgen Sie einfach der Straße. Ungefähr zwei Meilen von hier, Sir.«
    »Vielen Dank. Sie waren sehr freundlich.« Und ohne auf eine Erwiderung zu warten, ging Monk in die Richtung, die der Stationsvorsteher ihm gewiesen hatte.
    Der Wind fuhr durch die kahlen Zweige der Ulmen, und eine Schar schwarzer Krähen erhob sich in die Luft, aufgescheucht von einer räuberischen Katze. Ihre schwarzen, zerzausten Nester schmiegten sich eng in die Astgabeln hoch in den Bäumen. Es war ein harter Winter gewesen.
    Der Pfarrer war ein älterer Mann, aber sehr lebhaft und mit klaren Augen. Er begrüßte Monk über die Hecke hinweg, hinter der er hoffnungsvoll den grünen Rasen und die ersten Knospen betrachtet hatte.
    Monk erklärte ihm mit knappen Worten, was ihn zu ihm führte.
    Der Pfarrer sah ihn mit lebhaftem Interesse an.
    »Ja, Sir, natürlich kann ich Ihnen einiges erzählen. Was für ein schöner Morgen, nicht wahr? Wird nicht mehr lange dauern, bis die Narzissen blühen. Ich liebe ein schönes Narzissenbeet. Kommen Sie doch mit in den Salon, mein Freund. Da brennt ein anständiges Feuer. Treibt Ihnen die Kälte aus den Knochen.«
    Er kam ans Tor und hielt es für Monk auf. Dann führte er ihn über einen mit abgebröckelten Steinen gepflasterten Weg zur Tür, die dicht mit Geißblatt überwuchert war, dessen dunkles Geäst noch nicht das zarteste Grün zeigte.
    »Hätten Sie vielleicht gern eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen?« lud er Monk ein, während er ihn ins Innere des Hauses führte, in dem eine wohltuende Wärme herrschte. »Ich hasse es, allein zu speisen. Zu unzivilisiert. Eine gepflegte Unterhaltung adelt jedes Mahl, finden Sie nicht auch?« Er ging durch den vollgestellten Flur und öffnete die Tür zu einem hellen, mit Chintzvorhängen ausgestatteten Raum. »Meine Frau ist vor fünf Jahren gestorben. Muß jede Gelegenheit beim Schopf packen, um mir Gesellschaft zu verschaffen. Kenne jeden hier. Die Leute können hier keinen mehr überraschen. Ist im Winter ganz schön langweilig. Im Sommer macht's mir nichts aus, da ist im Garten genug zu tun. Wie sagten Sie noch, war Ihr Name?«
    »William Monk, Mr. Nicolson.«
    »Äh, ja, Mr. Monk, wollen Sie mit mir zu Mittag essen, während Sie mir erzählen, was Sie nach Chilverley führt?«
    Monk nahm die Einladung mit Freuden an. Er war durchgefroren und hungrig, und es war immer einfacher, sich bei Tisch zu unterhalten als

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