Sein Bruder Kain
kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Sie biß sich auf die Lippen.
»Das heißt, ich möchte mich natürlich nicht aufdrängen.« Sie sah ihn freimütig mit ihren großen, haselnußbraunen Augen an, aber in ihrem Blick standen sowohl Belustigung als auch Zuversicht. Er wußte, wenn er ihr Angebot ablehnte, würde sie weder verletzt noch gekränkt sein, sondern die Sache einfach philosophisch nehmen und ihre Aufmerksamkeit einem anderen Thema zuwenden.
Er zögerte keine Sekunde lang.
»Vielen Dank. Die Sache ist sehr wichtig, um Mrs. Stonefields willen, so daß ich mit Freuden jede Hilfe annehme. Wie Sie richtig sagen, muß ich als erstes die auf der Hand liegende Alternative ausschließen. Seine geschäftlichen Angelegenheiten scheinen in bester Ordnung zu sein, genauso wie seine persönlichen Finanzen. Deshalb kann ich mir einfach nicht vorstellen, daß er gespielt oder sich irgendeinem anderen Laster, das ihn Geld gekostet hätte, gefrönt hat. Möchten Sie noch Kaffee?«
»Danke. Ich würde sehr gern noch eine Tasse trinken«, erwiderte sie. Es dauerte einen Augenblick, bis er die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich gezogen hatte, und als der Mann sich durch das überfüllte Cafe zu ihnen durchgekämpft hatte, bestellte er den Kaffee und bezahlte ihn.
»Vielleicht war er ein erfolgreicher Spieler?« Drusilla hob die Augenbrauen.
»Warum sollte er dann verschwinden?« konterte er.
»O ja, verstehe.« Sie zog die Nase kraus. »Hm… Anstößige Theater oder Lokale? Eine verbotene Religion? Seancen oder Schwarze Magie?«
Er fing an zu lachen. Es war wunderbar, sich ausnahmsweise einmal im Reich des Absurden zu bewegen und all die Armut, die Krankheiten und das Elend, das er gesehen hatte, zu vergessen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Mann, von dem ich mittlerweile doch einiges weiß, so leichtsinnig gewesen sein könnte«, sagte er offen.
Sie lachte ebenfalls. »Ist Schwarze Magie leichtsinnig?«
»Das weiß ich beim besten Willen nicht«, gestand er. »Hört sich für mich so an, als hätte sie herzlich wenig mit der Wirklichkeit zu tun, eine Art Flucht vor Verantwortung und den täglichen Pflichten, vor allem für einen Mann, der seine Arbeitszeit damit zubringt, über den Preis von Korn und anderen Handelswaren nachzudenken.«
»Und das Tischgebet vorspricht«, fügte sie hinzu, »mit einer guten Frau und fünf Kindern und was weiß ich wie vielen Dienern, ganz zu schweigen davon, daß er jeden Sonntag zur Kirche geht und sorgsam alle Gebote einhält.«
Die Leute am Nebentisch brachen in Gelächter aus, aber sie beide ignorierten es.
»Haben Sie herausgefunden, ob er nur kaltes Fleisch gegessen hat, keinen Gesang in seinem Haus duldete, kein Pfeifen, keine wie auch immer gearteten Spiele, keine Romane? Daß er den Tee ohne Zucker trank und weder Süßigkeiten noch Schokolade aß, um nicht dem Luxus zu verfallen? Oh, und natürlich hätte er auch kein Lachen geduldet.«
Er stöhnte leise. Das war nicht das Bild, das Genevieve ihm von Angus vermittelt hatte, aber er hatte auch nicht danach gefragt.
Vielleicht war Angus so solide und achtbar gewesen. Seine Frau hatte zwar überschwenglich, aber doch ziemlich förmlich und ehrfürchtig von ihm gesprochen.
»Armer Teufel«, sagte er laut. »Wenn er ein solches Leben geführt hätte, wäre es kaum ein Wunder, daß er sich ab und zu einmal vom Alltag verabschiedete und etwas ganz und gar Absonderliches tat. Auf diese Weise hat er sich vielleicht seinen Verstand bewahrt.«
Sie trank ihre zweite Tasse Kaffee aus und lehnte sich zurück.
»Dann erlauben Sie mir, so viel wie möglich über solche Gesellschaften herauszufinden und festzustellen, ob ich irgend jemanden kenne, der diesem Angus Stonefield schon einmal begegnet ist.« Sie senkte kurz den Blick und sah ihn dann wieder an. »Und natürlich wäre da noch die andere Möglichkeit, die zu erwähnen ein wenig taktlos erscheint, aber wenn wir miteinander sprechen, müssen wir uns nicht krampfhaft bemühen, den äußeren Schein zu wahren, nicht wahr? Ich bin es so müde, nie frei heraus reden zu können, Sie nicht auch? Es ist also durchaus möglich, daß er eine andere Frau kennengelernt hat, eine, die mit ihm lacht und ihm Zuneigung entgegenbringt, ohne irgend etwas von ihm zu verlangen, außer daß er ihr seinerseits dasselbe bietet. Vielleicht sehnt er sich schon lange danach, sich von der Verantwortung für seine Kinder zu befreien und von den Beengungen und Zwängen des
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