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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Nachforschungen, sondern weil er auf diese Weise noch mehr Zeit in ihrer Gesellschaft verbringen konnte.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie langsam. »Er kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann mir nicht vorstellen, wo ich ihm schon einmal begegnet sein könnte. Ist es nicht seltsam, daß man manchmal glaubt, ein Gesicht zu kennen, aber nicht sagen kann, woher? Ist Ihnen das auch schon passiert? Es tut mir leid, daß ich Ihnen nichts Genaueres sagen kann. Aber ich verspreche, ich werde mein Gedächtnis gründlich erforschen, Mister…«
    »Monk«, sagte er schnell. »William Monk.« Er neigte den Kopf; es war fast eine Verbeugung.
    »Drusilla Wyndham«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das sich nicht nur auf ihren Lippen, sondern auch in ihren Augen zeigte. Sie war schön, und sie wußte es auch, aber dieser Umstand machte sie weder arrogant noch kalt. Im Gegenteil, sie war voller Wärme und besaß eine Fähigkeit zu lachen, die er nicht nur anziehend fand, sondern auch überaus wohltuend. Sie war selbstsicher und würde keine ständigen Schmeicheleien und kleine Aufmerksamkeiten brauchen, genausowenig wie die Ehe ihr einziges Ziel sein würde. Bei ihrer Schönheit konnte sie es sich leisten, wählerisch zu sein und zu warten, bis ihr jemand wirklich gefiel.
    »Guten Tag, Miss Wyndham«, sagte er.
    Ein Herr im dunklen Anzug, der eine Zeitung unter dem Arm trug, drängte sich an ihnen vorbei, und seine Schnurrbarthaare schienen sich förmlich zu sträuben. Ohne zu wissen, warum, schaute Monk Drusilla Wyndham an und sah die Belustigung in ihren Augen aufblitzen, und sie beide lächelten verschwörerisch.
    »Haben Sie eine Verabredung hier?« fragte er und hoffte inbrünstig, daß das nicht der Fall sein möge. Seine Gedanken überschlugen sich bereits, er schmiedete Pläne, wie er ein Wiedersehen mit ihr unter günstigeren Umständen herbeiführen konnte.
    »Ja, aber sie hat nicht die geringste Bedeutung«, erwiderte sie fröhlich und senkte dann ganz bewußt die Lider, als lache sie über sich und ihn.
    »Dann wäre es annehmbar für Sie, wenn ich Sie zu einer Tasse Kaffee oder Schokolade einlüde?« fragte er impulsiv. »Es ist verdammenswert kalt hier draußen, und ein paar hundert Meter weiter gibt es ein ausgesprochen respektables Cafe. Wir könnten uns ans Fenster setzen, so daß man uns gut beobachten kann.« Ihr Frohsinn und ihr Charme waren so ansteckend, daß sie nach ihm zu greifen schienen wie der Duft köstlicher Speisen nach einem hungrigen Mann. Er war der Gerüche und Laute des Elends so unsagbar müde, des Wissens, daß alles, was er erreichte, am Ende doch nur irgend jemanden unglücklich machen würde. Was er auch über Angus Stonefield herausfinden mochte, für Genevieve und ihre Kinder würde es furchtbar sein. Es gab kein glückliches Ende.
    Und das letzte, woran er denken wollte, war Hester, die sich in einem behelfsmäßigen Fieberhospital abrackerte und versuchte, dem Leiden um sie herum beizukommen, ein ganz klein wenig Linderung zu bringen. An dem Schmutz und der Verzweiflung der Menschen würde sie nichts ändern können. Wenn der Typhus sie nicht umbrachte, dann würden es Armut, Hunger oder irgendeine andere Krankheit tun. Schon wenn er nur daran dachte, machte es ihn zornig. Er mochte Hester ja nicht einmal. Er hatte jedenfalls nicht die geringste Freude daran, mit ihr zusammenzusein. Jede ihrer Begegnungen endete in einem Streit. Abgesehen natürlich von dieser letzten in Edinburgh. Aber die war lediglich durch unmittelbar bevorstehendes Unglück zustande gekommen und hatte nichts mit der Realität zu tun.
    »Ich denke, ich sollte sie wirklich ein wenig ablenken, Mr. Monk«, sagte Drusilla gutgelaunt.
    »Ja«, stimmte er ihr zu. »Und ich werde mich mit Vergnügen ablenken lassen. Meine augenblickliche Aufgabe ist eine sehr erfreuliche und undankbare.«
    »Dann gehen wir ihr eben aus dem Weg«, meinte sie, drehte sich schwungvoll auf dem Absatz um, und ihre ausladenden, elegant karierten Reifröcke fegten über die Treppenstufen.
    Er bot ihr seinen Arm, und sie hakte sich unter.
    Gemeinsam spazierten sie durch den frischen Wind den Gehsteig entlang, wobei er an der Bordsteinkante ging, um sie vor den Spritzern vorbeifahrender Kutschen zu schützen. Er paßte seinen Schritt dem ihren an.
    »Ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern, wo ich diesen Mann schon einmal gesehen habe«, sagte sie mit einem kleinen Kopfschütteln. »Kennen Sie ihn gut, Mr. Monk?«
    Mehrere

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