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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Familienlebens. Vielen Männern fällt es bei einer anderen Frau leichter, sich auszudrücken, als bei ihren eigenen Ehefrauen, vielleicht einfach deshalb, weil sie ihr nicht jeden Tag am Frühstückstisch begegnen. Wenn sie sich bei ihr zum Narren machen, können sie einfach fortgehen und brauchen sie nie wiederzusehen.«
    Er betrachtete sie, wie sie so dasaß und ihn anlächelte, sah ihre schmalen Schultern, die so weiblich und zierlich wirkten, ihr dichtes, leuchtendes Haar, ihr Gesicht mit den lebhaften großen Augen; sie strahlte eine ruhige Heiterkeit aus, so als wisse sie um ein heimliches Glück. Er hätte gut verstehen können, wenn Angus Stonefield oder irgendein anderer Mann eine solche Frau unwiderstehlich gefunden hätte, eine wunderbare Befreiung von den Zwängen des häuslichen Lebens, von der Frau, auf der die Verantwortung für den Haushalt und die Kindererziehung lasteten, der es unschicklich erschien, zu oft oder zu laut zu lachen, die sich ihrer Pflichten ihm gegenüber bewußt war, genauso wie ihrer Abhängigkeit von ihm, und die ihn sehr wahrscheinlich auch zu gut kannte und gewisse Anforderungen hinsichtlich seines Charakters und seines Verhaltens an ihn stellte.
    Ja, vielleicht hatte Angus Stonefield genau das getan. Und wenn es so war, konnte Monk ihn jedenfalls nicht völlig schuldig sprechen. Und plötzlich spürte er zu seiner Überraschung den Stachel des Neids. Waren Drusillas Worte reine Vermutungen? Oder war sie diese wunderbare, liebreizende »andere Frau« gewesen - für Stonefield oder für einen anderen Mann? Dieser Gedanke mißfiel ihm zutiefst, war gleichermaßen schmerzlich wie absurd, aber, wenn er ehrlich war, durchaus im Bereich des Möglichen.
    »Natürlich«, sagte er schließlich, nachdem auch er seinen Kaffee ausgetrunken hatte. »Dieser Möglichkeit werde ich ebenfalls nachgehen.«

4
    Fast stündlich wurden neue Fieberkranke in das Nothospital in Limehouse gebracht. Das einzig Gute daran war, daß damit auch mehr Freiwillige kamen, die bei dem wenigen, was an praktischer Pflege getan werden konnte, halfen, die beim Ausleeren der Eimer und beim Waschen zur Hand gingen sowie Decken und Laken reinigten und schmutziges Stroh gegen frisches austauschten. Männer aus der Nachbarschaft trugen die Toten fort.
    »Wo bringen sie sie hin?« fragte Enid Ravensbrook, als sie einmal spät am Nachmittag zusammen in dem kleinen Raum saßen, in dem Monk mit Callandra und Hester gesprochen hatte. Drei Kranke waren in der vergangenen Nacht gestorben. Kristian war seit dem Vorabend dagewesen und hatte sich eine kurze Pause gegönnt, um nach Hause zu gehen, sich zu waschen, die Kleider zu wechseln und ein paar Stunden zu schlafen, bevor er in sein eigenes Krankenhaus zurückkehrte. Aber selbst im günstigsten Fall konnte er wenig ausrichten. Es gab kein bekanntes Medikament gegen Typhus; das Beste, was man für die Patienten tun konnte, war eine ständige Pflege, um ihre Leiden zu lindern, die Temperatur niedrig zu halten und den Körper mit der notwendigen Flüssigkeit und den Geist mit Lebenswillen zu versorgen.
    Callandra blickte überrascht auf. »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    »Ich gestehe, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich nehme an…« Sie hielt inne. »Nein, das ist lächerlich. Kein Leichenbestatter würde sich eines Fieberopfers annehmen. Außerdem sind es zu viele.«
    »Sie müssen begraben werden«, beharrte Enid, die auf dem klapprigen Stuhl saß, auf dem Monk neulich Platz genommen hatte. Callandra saß auf dem anderen Stuhl, Hester auf dem Fußboden. »Wenn die Leichenbestatter es nicht tun, wer dann? Man kann kaum erwarten, daß die Totengräber die Leichen aufbahren und all die anderen Dinge tun, die der Anstand erfordert. Das einzige, worauf sie sich verstehen, ist das Vergraben von Särgen. Die Sargbauer sind die einzigen Menschen, die von dieser Sache profitieren.« Sie holte tief Luft und stieß einen leisen Seufzer aus. »Wenigstens ist es etwas wärmer geworden. Oder haben wir einfach mehr Kohlen im Ofen?«
    »Ich bin völlig durchgefroren.« Callandra schauderte und schlang die Arme um sich. »Hester, haben Sie mehr Kohlen aufgelegt?«
    »Nein.« Hester schüttelte den Kopf. »Das wage ich nicht, sonst gehen sie uns noch aus. Wir haben ohnehin nur noch genug für zwei Tage. Ich wollte mit Bert darüber reden, aber ich habe es vergessen.«
    »Ich frage ihn das nächstemal, wenn ich ihn sehe«, entgegnete Callandra.
    »Ich weiß nicht, wo er

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