Sein Bruder Kain
worden.« Sie mußte die andere Frau wissen lassen, daß es vertrauliche Dinge zwischen ihr und Monk gab.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.« Dann wandte sie sich wieder an Monk und sah die Belustigung auf seinem Gesicht, was sie zutiefst erzürnte und ihr brennende Röte in die Wangen trieb.
Drusilla lächelte. Vielleicht hatte auch sie sie besser durchschaut, als ihr lieb sein konnte. Sie fühlte sich auf einmal furchtbar nackt.
»Gute Nacht, Mr. Monk«, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. »Ich hoffe, Sie haben in Zukunft mehr Erfolg, als es bisher der Fall gewesen ist.« Mit diesen Worten ging Hester dann zur Tür und öffnete sie, bevor er Zeit hatte, ihr zuvorzukommen. Sie trat hinaus auf die kalte Straße und überließ es ihm, die Tür hinter ihr zu schließen.
Sobald Hester gegangen war, drehte Drusilla sich zu Monk um.
»Ich hoffe doch, mein Besuch kam nicht ungelegen? Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Das arme Geschöpf sah völlig verwirrt aus. Sie sagte, es sei keine persönliche Angelegenheit, aber wollte sie da vielleicht nur höflich sein?« Aus ihren Worten sprach eine gewisse Sorge, aber in ihren Augen stand ein Funkeln, das enge Verwandtschaft mit Gelächter aufwies, und ihr Gesicht glühte.
»Durchaus nicht«, sagte Monk in bestimmtem Ton, obwohl er wußte, daß Hester erregt gewesen war. Das war etwas ganz Ungewöhnliches. Er hätte nie geglaubt, daß sie für ein so weibliches Gefühl wie Eifersucht empfänglich war. Er ärgerte sich um ihretwillen. Dieses Verhalten war völlig uncharakteristisch für sie - ein Riß in ihrem Schutzschild. Andererseits fühlte er sich auch geschmeichelt. »Sie hatte mir bereits gesagt, was sie zu sagen hatte«, erklärte er Drusilla und machte einen Schritt zurück, so daß sie näher ans Fenster treten konnte. »Sie hatte keinen Grund und auch nicht den Wunsch, länger zu bleiben. Sie wollte gerade gehen, als Sie kamen.« Er fügte nicht hinzu, daß er sich freute, sie zu sehen, aber sein Verhalten ihr gegenüber sprach eine deutliche Sprache, und das lag auch in seiner Absicht.
»Arbeiten Sie noch an einem anderen Fall außer dem, von dem Sie mir erzählt haben?« wollte sie wissen.
»Nein. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Eine Tasse Tee? Oder eine Tasse heiße Schokolade? Es ist ein kalter Abend.«
»Vielen Dank.« Sie nahm seine Einladung an. »Das wäre wirklich schön. Ich gebe zu, daß ich in dem Hansom sehr gefroren habe. Es war sehr übereilt von mir hierherzukommen, da ich noch nicht einmal wußte, ob Sie zu Hause sein würden, ganz zu schweigen von der Frage, ob Sie auf Besuch vorbereitet wären. Ich habe mich geschämt, aber da war es schon zu spät, und ich war schon auf halbem Weg zu Ihnen. Vielen Dank.« Sie reichte ihm ihren Umhang, nahm ihre Haube ab und fuhr sich mit den Fingern anmutig durch die weichen Locken an ihren Schläfen. »Ich muß zugeben, daß ich ein ganz undamenhaftes Interesse an der Geschichte habe - Sie wissen schon, Ihre Nachforschungen bezüglich des unglückseligen Mannes, der verschwunden ist.« Sie sah ihn mit einem Lächeln an. »Ich habe mich bei den wenigen Bekannten, die ich in der Geographischen Gesellschaft habe, erkundigt, außerdem bei einem Musikverein, den ich kenne, und bei einer Debattiervereinigung, aber ich habe nichts erfahren, abgesehen davon, daß Mr. Stonefield einmal bei der Geographischen Gesellschaft Gast und anscheinend ein ruhiger und charmanter Mann war, der erklärte, er habe zu viele familiäre und geschäftliche Verpflichtungen, um der Gesellschaft häufiger einen Besuch abstatten zu können.« Ihr Blick wanderte durch das Zimmer, und sie registrierte die geschmackvollen, aber nicht gerade neuen Möbelstücke, das blankpolierte Holz, die satten, dunklen Farben des morgenländischen Teppichs und das absolute Fehlen jeglicher Fotografien oder persönlicher Erinnerungsstücke.
»Die anderen wußten überhaupt nichts über ihn«, fuhr sie fort.
»Höchstens dem Hörensagen nach - er galt als ein überaus ehrenwerter Mann, sehr anständig und immer bereit, großzügige Spenden für wohltätige Zwecke zu geben, ein regelmäßiger Kirchgänger und in jeder Hinsicht eine Stütze der Gesellschaft.« In ihren Augen stand ein lebhafter Blick, und ihre Wangen waren leicht gerötet. »Das ist sehr seltsam, nicht wahr? Ich fürchte zutiefst, daß seine arme Frau recht hat und ihm etwas zugestoßen ist.«
»Ja«, pflichtete Monk ihr ernst bei. Er stand neben dem
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