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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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auf die Straße drang.
    »He! «rief Monk.
    Die Frau blieb stehen und drehte sich um, zu müde, um neugierig zu sein. »Was gibt's?«
    »Ich suche nach jemandem«, begann Monk, wie er es schon so viele Male zuvor getan hatte. »Es wär' mir durchaus was wert, ihn zu finden.«
    »Ach ja?« Ein leichtes Zucken ging über das teilnahmslose Gesicht der Frau. »Wen suchen Sie denn, hm?«
    Drusilla reichte ihr Enids Zeichnung von Angus. Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete das Bild in dem fahlen Licht. Dann verzog sie ihr Gesicht und drückte Monk die Zeichnung wieder in die Hand; als sie zu sprechen begann, war ihre Stimme schroff und wütend.
    »Wenn ihr Caleb Stone sucht, müßt ihr den ohne Hilfe finden! Stecken Sie sich Ihre Moneten an den Hut. Im Grab kann ich den Zaster nicht brauchen.«
    »Das ist nicht Caleb Stone«, sagte Monk hastig.
    »Doch ist er das!« Die Frau hielt ihm das Bild wieder hin.
    »Denken Sie, ich bin blöd? Ich erkenne Caleb Stone, wenn ich ihn seh'!«
    »Das ist nicht Caleb«, sagte Drusilla eindringlich und meldete sich damit zum erstenmal bei einer solchen Befragung zu Wort.
    »Er ist mit ihm verwandt, deshalb die Ähnlichkeit. Aber sehen Sie doch einmal genauer hin.« Sie nahm Monk das Bild aus der Hand und reichte es der Frau. »Sehen Sie sich sein Gesicht noch einmal an. Seine Augen. Sieht er so aus wie die Art von Mann, die Caleb Stone ist?«
    Die Frau krauste nachdenklich die Stirn. »Sieht für mich ganz nach Caleb Stone aus. Zurechtgemacht wie 'n feiner Pinkel, aber hat dieselben Augen und dieselbe Nase.«
    »Aber es ist nicht derselbe Mann«, beharrte Drusilla. »Das ist sein Bruder.«
    »Quatsch! Der hat keinen Bruder nich'!«
    »O doch, das hat er.«
    »Tja… «, meinte die Frau unschlüssig. »Vielleicht sieht er wirklich 'n bißchen anders aus, vor allem um den Mund rum, aber gesehen habe ich ihn jedenfalls nicht!«
    »Er müßte gut gekleidet gewesen sein, und er hat bestimmt gepflegt gesprochen«, fügte Drusilla hinzu.
    »Ich hab's Ihnen doch schon mal gesagt, ich hab' ihn nicht gesehen, und ich will ihn auch gar nicht sehen!« Sie machte Anstalten, Drusilla das Bild zurückzugeben.
    Aber bevor diese es annehmen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und ein magerer Mann mit relativ dunklem, unrasiertem Gesicht streckte den Kopf heraus.
    »Bist du endlich fertig mit Quatschen, du fette alte Kuh? Wo bleibt mein Essen? Ich schinde mich nicht ab, damit du auf der Straße rumstehst und mit irgend 'nem Blödmann quasselst und quasselst und quasselst! Beweg gefälligst deinen Hintern hier rein!«
    »Halt die Klappe und guck dir lieber dieses Bild hier an, ja?« schrie die Frau zurück, und aus ihrer Stimme war nicht zu erkennen, daß sie es besonders übelgenommen hätte, daß der Mann so mit ihr sprach.
    »Ist Ihnen die Sache noch immer 'n paar Moneten wert?« fragte sie Monk.
    »Ja«, bestätigte dieser.
    Der Mann kam widerstrebend aus dem Haus, und auf seinem Gesicht spiegelte sich deutlicher Argwohn wider. Er starrte Drusilla an, blickte mit schmalen Augen zu Monk hinüber und wandte sich dann endlich dem Bild zu.
    »Ja«, sagte er schließlich. »Den hab' ich gesehen. Was wollen Sie von dem? Hat ein Pint unten im Artichoke getrunken und ist dann zum Fluß runter. Warum?«
    »War es nicht Caleb Stone, den Sie da gesehen haben?« erkundigte Monk sich zweifelnd.
    »Nein, es war nicht Caleb Stone, den ich da gesehen habe.« Der Mann äffte Monks Stimme gehässig nach. »Ich kenne den Unterschied zwischen Caleb Stone und so 'nem Wunderknaben mit feinen Manieren und Kleidern wie'n Fatzke.«
    »Wann war das?« fragte Monk.
    »Woher soll ich das wissen?« erwiderte der Mann gereizt.
    »Letzte Woche oder die Woche davor.«
    Monk schob beide Hände tiefer in seine Taschen.
    »Natürlich weißte das, du blöder Hund!« sagte die Frau scharf. »Streng deine Birne 'n bißchen an, dann fällt's dir schon wieder ein. Was für'n Tag war es? Bevor Tantchen dir den Kinnhaken verpaßt hat oder danach?«
    »Am selben Tag«, erwiderte er mürrisch. »Oder am Tag davor.« Er rülpste. »Nee, doch am Tag davor, also ist es jetzt genau zwei Wochen her! Mehr kann ich Ihnen nich' erzählen.« Er drehte sich um und wollte wieder ins Haus verschwinden.
    Die Frau ließ ihre Hand vorschnellen, und Monk gab ihr einen Schilling. Das war der Tag, an dem Angus Stonefield verschwunden war. Diese Auskunft war einen Shilling wert.
    »Vielen Dank«, sagte er freundlich.
    Sie packte das Geldstück, verbarg es

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