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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erzählt, daß Angus in der Vergangenheit oft mit Stichverletzungen nach Hause gekommen ist, von denen sonst niemand etwas wußte. Sie durfte keinen Arzt holen. Er schämte sich für diese Wunden. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie Ihnen nichts davon erzählt hat. Sie möchte nicht, daß irgend jemand glaubt, Angus sei nicht in der Lage gewesen, sich einzugestehen, daß er ein Feigling war. Angus… « Sie wußte nicht, wie sie ihre Gedanken ausdrücken sollte, damit sie möglichst vernünftig klangen. Sie konnte Monks sarkastische Erwiderung beinahe hören, bevor sie selbst zu Ende gesprochen hatte. »Angus hat Caleb geliebt«, fuhr sie hastig fort. »Als Kinder haben sie sich sehr nahegestanden. Vielleicht existierte dieses Band für ihn nach wie vor, und er konnte einfach nicht glauben, daß Caleb eine Gefahr für ihn sein könnte. Vielleicht hat er sich sogar wegen seiner eigenen Erfolge schuldig gefühlt. Das mag auch der Grund gewesen sein, warum er ihn immer wieder aufgesucht hat - weil er ihm helfen wollte, um seines eigenen Gewissens willen. Und Mitleid kann für den, dem es gilt, sehr hart sein. Es kann sich tiefer in seine Seele hineinfressen als Haß oder Gleichgültigkeit.«
    Er sah sie lange Zeit schweigend an. Sie wandte jedoch den Blick nicht ab, sondern starrte ihn ebenfalls an.
    »Vielleicht«, räumte er nach einer Weile ein. Zum erstenmal konnte er sich eine Vorstellung von den Gefühlen Calebs machen, von den Ausbrüchen des Zorns, die in Gewalttätigkeit mündeten. »Das könnte einerseits erklären, warum Angus ihn nicht einfach vor die Hunde gehen ließ, was genau das zu sein scheint, was Caleb sich wünschte und verdient hätte, und warum Caleb dumm genug war, den einen Mann auf Erden zu töten, dem er noch nicht gleichgültig geworden war. Aber es hilft mir nicht dabei, Angus zu finden.«
    »Nun, wenn es Caleb war, der ihn getötet hat, hätten Sie zumindest eine Vorstellung, wo Sie suchen können«, stellte sie fest. »Sie brauchen Ihre Zeit nicht länger bei dem Versuch verschwenden festzustellen, ob Angus eine heimliche Geliebte oder Spielschulden hatte. Er war wahrscheinlich genauso anständig, wie er zu sein schien, aber selbst wenn er das nicht war, müssen Sie sich nicht weiter damit beschäftigen, und ganz gewiß brauchen Sie Genevieve - oder Lord Ravensbrook - nichts davon zu sagen. Sie sind beide davon überzeugt, daß er ein außergewöhnlich guter Mensch war. Nach allem, was sie wissen, war er ehrenhaft, großzügig, geduldig, treu und durch und durch anständig. Er hat seinen Kindern Geschichten vorgelesen, seiner Frau Blumen geschenkt, hat gern am Klavier gesungen und konnte wunderbar Drachen steigen lassen. Wenn er tot ist, ist das doch schlimm genug, oder? Sie brauchen nicht auch noch seine Schwächen bloßzulegen, oder - nur um der Wahrheit genüge zu tun?«
    »Ich tue es nicht der Wahrheit wegen«, sagte er und sein Gesicht verzog sich bei diesem Gedanken ärgerlich. »Ich will, im Namen der Wahrheit, herausfinden, was ihm zugestoßen ist.«
    »Er ist ins East End gegangen, um seinen Zwillingsbruder zu besuchen, der ihn in einem Anfall von Brutalität, wie es seinen Neigungen entspricht, getötet hat! Fragen Sie die Menschen in Limehouse - sie haben Angst vor ihm!« fuhr sie drängend fort.
    »Ich habe mit eigenen Augen zwei seiner Opfer gesehen, einen Jungen und eine Frau. Angus ist ihm einmal zu oft in die Quere gekommen, und Caleb hat ihn getötet - mag es ein Unfall oder Absicht gewesen sein. Sie müssen das um der Gerechtigkeit willen beweisen - damit Genevieve erfährt, was geschehen ist und einen gewissen Seelenfrieden wiederfinden kann - und entscheiden, was als nächstes zu tun ist.«
    »Ich weiß, was ich zu tun habe«, sagte er schroff. »Das Wie ist sehr viel schwieriger zu ermitteln. Haben Sie da vielleicht genauso schnell einen Rat für mich zur Hand?«
    Sie wünschte sich von Herzen, sie wäre in der Lage gewesen, ihm eine kurze und brillante Antwort zu geben, aber ihr wollte nichts einfallen, und bevor sie Zeit hatte, länger über die Sache nachzudenken, hörten sie ein kurzes scharfes Klopfen an der Tür.
    Monk blickte überrascht auf, ging aber durch den Raum, um die Tür zu öffnen, und kehrte einen Augenblick später mit einer Frau zurück, die wunderschön gekleidet und ausgesprochen liebreizend war. Alles an ihr wirkte auf eine zwanglose und ungekünstelte Art und Weise weiblich, angefangen von ihrem weichen, honigfarbenen Haar unter ihrem

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