Sein Bruder Kain
acht Uhr zu früh für Sie?«
»Nicht im mindesten«, erwiderte sie mit vorgerecktem Kinn.
»Ich werde um acht Uhr hier sein, auf die Sekunde pünktlich.« Er grinste. »Wunderbar!«
Mrs. Mundy klopfte an die Tür und brachte die heiße Schokolade. Monk nahm seine Tasse entgegen, als enthielte sie Champagner.
5
In Bloomsbury, wohin sie ihr Weg am nächsten Morgen führte, war es sehr ruhig und kalt, aber während sie weiter nach Osten fuhren und dem Fluß immer näher kamen, gerieten sie in dichten Nebel. Er drang tief in ihre Kehlen und hinterließ zusammen mit dem Qualm aus Haus und Fabrikschloten einen widerlichen Geschmack auf der Zunge. Schließlich konnte die Droschke kurz vor der Isle of Dogs nur noch im Schrittempo vorankommen. Sie hielt in der Three Colt Street an, Monk entlohnte den Kutscher und streckte die Hand aus, um Drusilla herauszuhelfen. Wie sie es versprochen hatte, trug sie ein Kleid ihres Hausmädchens: einen dunklen Rock mit einer hellen, unauffälligen Bluse unter einem Jäckchen und einen Umhang, der sowohl braun als auch grau hätte sein können. In dem diffusen Licht des Nebels ließ sich das nicht feststellen. Sie hatte einen Schal über ihr honigfarbenes Haar gelegt und ihre Wangen sogar mit ein oder zwei Schmutzflecken versehen, aber nichts konnte ihre natürliche Schönheit verhüllen oder das Weiß ihrer Zähne, wenn sie lächelte.
Die Kutsche verschwand in der Düsternis des Nebels, und mit einem leichten Schaudern schob sie ihren Arm unter den seinen, bevor sie sich an ihre ermüdende Aufgabe machten. Zuerst hielt sie sich immer ein wenig zurück, wenn Monk mit Hausierern, fliegenden Händlern und Lumpensammlern sprach und nichts Brauchbares dabei herauskam. Es überraschte ihn nicht, daß diese Menschen ihr fremd und abschreckend erschienen. Ihr Akzent mußte für sie schwer verständlich sein, und ihre Gesichter unter der dicken Schmutzschicht drückten Wachsamkeit aus, eine Mischung aus Ärger und Angst.
Nach ungefähr hundert Metern gesellte sich eine Gruppe von Kindern mit mageren Gesichtern und großen Augen zu ihnen; einige von ihnen waren trotz der bitteren Kälte der nassen Pflastersteine barfuß. Sie waren neugierig und begierig auf jeden halben Penny, nach jedem Farthing, den sie vielleicht ergattern konnten. Schmutzige kleine Hände zerrten an Monks Ärmel und Drusillas Röcken, die weniger als halb so ausladend waren wie ihre gewohnten Krinolinen.
Allmählich kamen sie weiter nach Osten. In Ropemakers Field versuchte Monk bei mehreren Krämern sein Glück. Drusilla brachte sogar den Mut auf, selbst einige Vorschläge zu machen. Aber trotzdem hatten sie immer noch nichts Brauchbares in Erfahrung gebracht. Es gab durchaus Bemerkungen über Caleb Stone, von denen nur wenige schmeichelhaft waren und die meisten mit offensichtlicher Furcht ausgesprochen wurden.
In der Emmett Street war es genauso. Der Nebel vom Fluß war dort sogar noch dichter, hing wie ein schwerer Vorhang über der Landschaft und versperrte ihnen die Sicht. In den grauen, tristen Straßen mit ihren hohen, schmalen Mauern, die von Ruß und Feuchtigkeit fleckig waren, den Schornsteinen, aus denen dünne Rauchschwaden aufstiegen, gab es keine Farben, die der Nebel hätte auslöschen können. Überall türmte sich Unrat bis in die Gosse hinein, und der Geruch würgte sie in der Kehle. Der Nebel dämpfte alle Geräusche; selbst die Schritte anderer Passanten auf den nassen Steinen waren kaum zu hören. Ab und zu kam vom Fluß, der nur eine Straße weiter lag, das Tuten eines Nebelhorns.
Drusilla sah immer wieder zu Monk hinüber, Entsetzen und Ungläubigkeit in den Augen.
»Wollen Sie umkehren?« fragte er, denn er wußte, daß sie von Mitleid und Grauen erfüllt sein mußte. Wenn man bedachte, daß sie so etwas noch nie zuvor gesehen und auch nicht die leiseste Ahnung davon gehabt hatte, sprach es sehr für ihren Mut, daß sie überhaupt so weit mitgekommen war.
»Wir haben noch nichts herausgefunden«, sagte sie halsstarrig und biß die Zähne zusammen. »Vielen Dank, aber ich bleibe bei Ihnen.«
Er lächelte sie mit einer Wärme an, die er nicht vorzutäuschen brauchte. Er drückte ihren Arm ein wenig fester an sich, während sie nun an den West India Docks vorbei zur Isle of Dogs gingen.
Auf der Westferry Road sprach Monk eine Frau mit üppigem Busen und kurzen, sehr krummen Beinen an. Sie trug ein Bündel Lumpen und wollte gerade durch eine Tür treten, aus der ein Geruch nach verbranntem Fett
Weitere Kostenlose Bücher