Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
und kam gerade zu der Überzeugung, daß er nicht zu Hause war und sie alles getan hatte, was man von ihr verlangen konnte, als der Schlüssel im Schloß umgedreht und die Tür geöffnet wurde. Monk stand direkt vor ihr. Nach dem, was sie von seinem Gesicht sehen konnte, war er müde und mutlos. Er versuchte nicht, seine Überraschung darüber, sie zu sehen, zu verbergen.
    Er tat ihr leid, und plötzlich war sie froh, daß sie gekommen war.
    »Ich dachte, ich könnte Ihnen ein wenig von dem, was ich hier über Angus und Caleb erfahren habe, erzählen«, erklärte sie ihr Erscheinen.
    »Sie haben etwas erfahren?« fragte er hastig und ließ sie eintreten.
    Vielleicht hatte sie mit ihrer Feststellung übertrieben und ihm unberechtigte Hoffnungen gemacht. Sie kam sich ziemlich töricht vor.
    »Nur einige Fakten, oder vielleicht sollte ich korrekterweise sagen, die Meinungen einiger Personen.«
    »Wen meinen Sie? Um Himmels willen, kommen Sie doch herein! Ich will nicht hier auf der Schwelle stehen, selbst wenn Sie das nicht stört.« Er öffnete die Tür ein wenig weiter, und als sie an ihm vorbeigegangen war, schloß er sie hinter ihr.
    »Warum sind Sie so wütend?« Sie beschloß, sich nicht länger zu verteidigen, sondern ihrerseits anzugreifen. Das entsprach ohnehin mehr ihrer Art. Sie wollte ihm nicht gestatten, ihr das Gefühl zu geben, sich ständig rechtfertigen zu müssen. »Wenn Ihr Fall schwierig ist, so ist das sehr bedauerlich«, fuhr sie fort, während sie an ihm vorbei in den nächsten Raum ging. »Aber Sie machen die Sache nicht besser, wenn Sie beleidigend werden, und außerdem ist das sehr kindisch. Sie sollten lernen, sich besser zu beherrschen.«
    »Sind Sie den ganzen Weg hierhergekommen, und das noch zu dieser späten Stunde, um mir das zu sagen?« fragte er ungläubig, während er ihr folgte. »Sie sind eine eigensinnige, unglaublich arrogante Person, die sich in alles einmischt! Ihr Umgang mit den Kranken ist Ihnen zu Kopf gestiegen! Selbst bei Ihren vergeblichen Anstrengungen mit den Kranken muß es doch Nützlicheres für Sie zu tun geben! Gehen Sie, und leeren Sie ein paar Eimer, oder schrubben Sie einen Fußboden! Schüren Sie irgendwo ein Feuer! Trösten Sie jemanden, wenn Sie auch nur die leiseste Ahnung haben, wie.«
    Sie zog ihren nassen Umhang aus und reichte ihn Monk.
    »Wollen Sie etwas über Angus und Caleb wissen oder nicht?« Sie empfand es fast als Erleichterung, nun ihrerseits rüde reagieren zu können. Sie hatte so lange ihre Zunge gehütet und alle möglichen Gefühle in sich aufgestaut, Erinnerungen an Einsamkeit und Furcht, an Entsetzen und Erschöpfung, an vergangenen Schmerz, den sie nicht lindern konnte, an vielfachen Tod, dem sie hilflos und ohnmächtig gegenübergestanden hatte. All das brach sich nun viel vehementer und müheloser, als sie erwartet hatte, Bahn, und sie wollte nichts für Monk empfinden. Es war schön, beinahe wie ein vertrautes Ritual, mit ihm zu streiten. »Haben Sie wirklich ein Interesse daran, der armen Genevieve zu helfen, oder nehmen Sie nur ihr Geld?«
    Sein Gesicht wurde weiß. Mit dieser letzten Bemerkung hatte sie ihn verletzt. Trotz all seiner Fehler wußte sie mit absoluter Sicherheit, daß ein solches Verhalten nicht in seiner Natur lag. Vielleicht hätte sie das nicht sagen dürfen. Aber andererseits war auch er nicht davor zurückgeschreckt, sie zu beleidigen.
    »Es tut mir leid«, sagte er mit verkniffener Miene. »Mir war nicht klar, daß Sie diesmal etwas Nützliches zu sagen haben. Worum geht es?« Geistesabwesend legte er ihren Umhang über einen der Stühle.
    Jetzt fühlte sie sich erst recht töricht. Es war nichts Nützliches. Vielleicht wußte er das ebenfalls? Sie holte tief Luft und sah ihn an. Seine grauen Augen waren kalt und voller Zorn.
    »Lord Ravensbrook glaubt nicht, daß Caleb Angus etwas angetan haben würde«, begann sie. »Denn trotz all seiner Gewalttätigkeit sind sie Brüder und zusammen aufgewachsen; sie haben nach dem Tod ihrer Eltern ihre Einsamkeit und ihren Kummer geteilt. Aber er glaubt das, weil er sie beide liebt und es nicht ertragen könnte, wenn es anders wäre. Er hat bereits seine erste Frau verloren und dann die Eltern der Jungen, und jetzt ist Enid schrecklich krank, und Angus ist verschwunden.«
    Er starrte sie an und wartete darauf, daß sie zum Ende kam. Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren ein wenig dünn. »Aber Genevieve ist davon überzeugt, daß Caleb ihn getötet hat. Sie hat mir

Weitere Kostenlose Bücher