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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Kaminsims, ganz in der Nähe des Feuers. Sie saß ihm gegenüber im Sessel, und ihre weiten Röcke berührten beinahe das Kamingitter. Fast geistesabwesend läutete er nach seiner Hauswirtin. »Ja, ich fürchte, es sieht mehr und mehr danach aus.«
    »Was werden Sie als nächstes unternehmen?« fragte sie und blickte zu ihm auf. »Sie werden doch sicher versuchen, es zu beweisen? Wie sonst könnte der Gerechtigkeit Genüge getan werden?«
    »Natürlich werde ich das versuchen.«
    Es klopfte an der Tür, und seine Vermieterin stand vor ihm. Sie war von Natur aus ein fröhlicher Mensch und hatte ihre Skrupel, einen Detektiv zu beherbergen, überwunden; ja, mittlerweile war sie in gewisser Hinsicht sogar stolz darauf, weil sie weniger glücklichen Vermietern ähnlicher Etablissements in der Nachbarschaft, deren Mieter alltäglicheren Verrichtungen nachgingen, alle möglichen faszinierenden Dinge erzählen konnte.
    »Ja, Mr. Monk? Was kann ich für Sie tun?« Sie musterte Drusilla mit unverhohlenem Interesse. Eine Dame von solcher Schönheit mußte entweder in furchtbarer Bedrängnis oder eine sehr verruchte und höchst gefährliche Person sein. Wie auch immer, die Sache war äußerst interessant. Nicht daß sie auch nur ein einziges Wort darüber verlauten lassen würde, falls sie Gelegenheit haben sollte, irgend etwas mitzuhören.
    »Zwei Tassen heiße Schokolade, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mrs. Mundy«, erwiderte er. »Es ist ein sehr unfreundlicher Abend.«
    »Das ist es wirklich«, gab Mrs. Mundy ihm recht. »Nur ein Mensch in höchster Not würde an einem Winterabend zu dieser Stunde aus dem Haus gehen. Zwei Tassen heiße Schokolade, jawohl, Mr. Monk.« Und damit zog sie sich zurück.
    »Was werden Sie als nächstes unternehmen?« fragte Drusilla, sobald die Tür geschlossen war. »Wie wollen Sie herausfinden, wohin er gegangen ist, und wie wollen Sie Caleb Stone finden?
    Er ist doch gewiß der Schlüssel zu dem Ganzen, oder?«
    »Das glaube ich auch«, meinte er, belustigt über ihren Eifer und, ganz gegen seine sonstige Art, ein wenig geschmeichelt. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, ganz gleich, wie bescheiden er auch erscheinen wollte, dieser Umstand trat deutlich zutage. Er reagierte entsprechend, denn auch er fand in ihr alles, was ihm an einer Frau gefiel: Sie war charmant, intelligent, selbstsicher, amüsant und besaß eine gewisse Weiblichkeit mit einer Spur Verletzbarkeit, was ihm sehr gefiel. Es war kein vollkommen ungewohntes Gefühl. Er konnte sich an nichts Genaues erinnern, aber er reagierte instinktiv ganz selbstverständlich und mit deutlichem Vergnügen.
    »Also werden Sie ins East End gehen?« fragte sie mit leuchtenden Augen weiter.
    »Ja«, antwortete er, während er sie belustigt ansah; er ließ es sich nicht nehmen, sie ein wenig auf die Folter zu spannen, er wußte, daß sie sich langweilte, daß sie nach Abenteuern lechzte, nach Erlebnissen, die ganz anders waren als alles, womit ihre Freundinnen prahlen konnten. Sie hatte Mut, daran zweifelte er nicht, und wahrscheinlich sogar den ehrlichen Wunsch, neue Erfahrungen zu machen und jemandem zu helfen, für den sie ein gewisses Mitleid empfand. Er wußte, was sie als nächstes sagen würde.
    »Ich werde Ihnen helfen«, erbot sie sich. »Ich bin ein sehr guter Menschenkenner, vor allem, wenn es darum geht festzustellen, ob jemand lügt oder die Wahrheit sagt, und zusammen können wir mit doppelt so vielen Leuten sprechen wie Sie allein.«
    »Sie können mich aber nicht in einem Kleid wie diesem begleiten.« Er musterte sie mit unverhohlener Anerkennung. Sie bot einen erfreulichen Anblick, war eine perfekte Mischung aus Geist und gutem Geschmack und überdies schön genug, um die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes zu erregen. Bei alledem wirkte sie jedoch nicht überheblich, und sie verfügte über jenes Maß an Würde und Selbstbeherrschung, das keinen Zweifel daran aufkommen ließ, daß sie ihre eigene Herrin war und sich unter ihrer Schönheit noch unendlich viele Dinge verbargen, von denen kein Mann etwas erfahren würde, es sei denn, er gab seinerseits sehr viel von sich preis. Er stellte fest, daß er ganz eindeutig ihre Begleitung wünschte, ob sie ihm nun von Nutzen war oder nicht.
    »Ich werde mir ein Kleid von meinem Hausmädchen borgen«, versprach sie. »Wann wollen wir beginnen?«
    »Morgen früh«, antwortete er, wobei er sich nur den Anflug eines Lächelns gestattete. Dann fügte er mit hochgezogenen Augenbrauen hinzu: »Wäre

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