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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verrottenden Seilen und zusammengenagelten Holzbrettern notdürftig einen Unterschlupf gebaut hatten.
    Ja, ein alter Mann hatte ihn vorgestern abend gesehen, wie er von Gold Harbour hinunter zu den Blackwall Stairs schlenderte. Er hatte einen übergroßen Mantel getragen, dessen Schöße ihm heftig um die Beine geflattert waren wie gebrochene Flügel.
    Ob er sicher sei, daß es Caleb war? Die Antwort war ein hohles Lachen.
    Er fragte niemanden mehr danach, ob er sich sicher sei. Ihre Gesichter sagten es ihm. Eine junge Frau von vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahren rannte einfach weg. Ein einbeiniger Mann, der unbequem auf dem Pflaster hockte und mit schwieligen Händen Seile spleißte, meinte, er habe ihn gestern zur Polly House Tavern gehen sehen. Er habe sich mit schnellen Schritten gegen den Wind gestemmt und sehr selbstzufrieden gewirkt.
    Monk suchte daraufhin seinerseits die Polly House Tavern auf, ein überraschend sauberes Lokal mit dunkler Eichenholzvertäfelung und dem Geruch von Talgkerzen, deren flackernde Lichter von einem Spiegel über der Theke reflektiert wurden. Selbst zu dieser frühen Morgenstunde waren ungefähr ein Dutzend Leute dort, die entweder Bier tranken oder sich irgendwelchen Pflichten widmeten, Dinge herbeiholten oder saubermachten.
    »Ja?« fragte der Wirt vorsichtig. Monk paßte dem Aussehen nach durchaus ins Bild, war aber ein Fremder hier.
    »Bier.« Monk beugte sich lässig über die Theke. Der Wirt zapfte das Bier und hielt ihm den Humpen hin.
    Monk legte Threepence auf die Theke und dazu einen Penny für den Wirt, der das Geld ohne Kommentar entgegennahm.
    »Kennen Sie Caleb Stone?« fragte Monk nach einiger Zeit.
    »Vielleicht«, sagte der Wirt vorsichtig.
    »Ob er wohl heute reinkommt?« fuhr Monk fort.
    »Weiß nicht«, erwiderte der Wirt ausdruckslos.
    Monk zog eine halbe Krone aus der Tasche und spielte mit ihr herum. Andere Gäste, die an der Bar saßen, verharrten regungslos, und das Geplauder im Hintergrund verstummte.
    »Schade.« Monk nahm noch einen Schluck von seinem Bier.
    »Kann man bei dem nie wissen«, sagte der Wirt wachsam.
    »Kommt, wenn's ihm gefällt, und geht, wenn's ihm gefällt.«
    »Gestern war er hier.« Monk ließ den Satz wie eine Feststellung klingen.
    »Na und? Er kommt öfter hier vorbei.«
    »Er war Dienstag vor zwei Wochen auch schon mal hier.
    Haben Sie ihn da gesehen?«
    »Wie soll ich das wissen?« fragte der Wirt mit ehrlicher Verblüffung. »Glauben Sie, ich schreib' mir alle auf, die hier reinkommen? Glauben Sie, ich hab' nichts Besseres zu tun?«
    »Er war da.« Ein ziemlich kleiner Mann mit strahlendgrauen Augen beugte sich vor. »Er und sein Bruder, alle beide.«
    »Ach nee! Und woher weißte das?« mischte sich ein gedrungener Mann in höhnischem Tonfall ein. »Woher willste wissen, daß es Dienstag war?«
    »Weil es am selben Tag war, an dem der alte Winnie vom Wagen gefallen ist und sich den Schädel gebrochen hat«, erwiderte der kleine Mann triumphierend. »Das war am Dienstag, und am Dienstag sind auch Caleb und sein Bruder hiergewesen. Sahen so aus, als würden sie sich gleich an die Gurgel gehen, jawohl, alle beide fuchsteufelswild, mit Gesichtern wie der Tod persönlich, jawohl.«
    Monk konnte sein Glück kaum fassen. »Vielen Dank, Mister…«
    »Bickerstaff«, erwiderte der Mann, der sich über die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, freute.
    »Vielen Dank, Mr. Bickerstaff«, ergänzte Monk. »Trinken Sie einen auf mich. Sie waren mir eine große Hilfe.« Er gab dem Mann die halbe Krone, und Bickerstaff griff zu, bevor solche Großzügigkeit sich als Trugbild erweisen konnte…
    »Mach' ich«, versprach er hochtrabend. »Mr. Putney, wenn Sie so freundlich sein wollen, eine Runde für diese Herren hier, wo meine Freunde sind. Und für meinen neuen Freund hier auch. Und Sie selbst können sich auch einen genehmigen. Vergessen Sie sich selbst nicht.«
    Der Wirt tat wie ihm geheißen.
    Monk blieb noch eine halbe Stunde, aber trotz der unbeschwerten Freibierlaune erfuhr er nichts mehr, was ihm hätte von Nutzen sein können; das einzige, was er in Erfahrung brachte, war eine ausführlichere Beschreibung des Ortes, an dem Bickerstaff Caleb und Angus gesehen und ihren Streit mitbekommen hatte.
    Den frühen Nachmittag verbrachte er mit der Verfolgung einer nicht besonders aufregenden Spur flußabwärts zu den East India Docks und nach Canning Town. Zweimal sah es so aus, als sei er Caleb direkt auf den Fersen, dann aber verlor sich

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