Sein Bruder Kain
hingegangen ist. Zumindest weiß ich, wo er sehr wahrscheinlich hingegangen ist. Ich hab' nichts übrig für Leute, die Kindern ihren Vater wegnehmen. Er ist ein übler Kerl, dieser Caleb.«
»Vielen Dank.« Monk nahm das Angebot des Mannes an, bevor dieser Zeit hatte, seine Meinung zu ändern. »Wie heißen Sie? Mein Name ist Monk.«
»Ach je. Paßt gar nicht zu Ihnen, es sei denn, es wäre einer der Mönche gemeint, die während der Inquisition die Leute auf den Scheiterhaufen zu bringen pflegten. Ich heiße Archie McLeish. Sie sollten besser mit mir kommen. Ich habe ein paar Schritte weiter ein Boot liegen. Nichts Dolles, kalt und naß, aber es wird uns auf die andere Seite bringen.« Dann drehte er sich um und schlenderte davon, wobei er auf den Außenkanten seiner Füße lief, als bewege sich die Erde unter ihm.
Monk holte ihn ein. »Die Inquisitoren, die Menschen für ihren Glauben verbrannt haben«, sagte er gereizt. »Mich kümmert es einen Dreck, was die Leute glauben, mich kümmert nur, was sie einander antun.«
»Sie sehen aus wie einer, der sich kümmert«, erwiderte Archie, ohne ihn anzusehen. »Sie möchte ich nicht auf den Fersen haben. Da wär' mir der Teufel dann doch noch lieber.« Er blieb an einer schmalen Treppe stehen, die zum Wasser hinunterführte, wo ein sehr kleines Boot sich sanft in der ansteigenden Flut wiegte. »Es kostet 'ne Menge, sich zu kümmern«, fügte er hinzu.
Monk wollte gerade leugnen, daß er sich um irgend etwas kümmerte, aber Archie hörte ihm nicht zu. Er löste mit gebeugtem Rücken die Vertäuung, die zu einem außergewöhnlich komplizierten Knoten gebunden war.
Monk stieg in das Boot, und Archie übernahm die Riemen. Mit ein paar geschickten Zügen wendete er das Boot, wobei er es gleichzeitig vorwärts trieb und steuerte. Das Ufer und die Treppe verschwanden schon nach wenigen Metern im Regen. Monk kam der Gedanke, daß niemand wußte, wo er war. Er hatte das Angebot angenommen, ohne auch nur die geringsten Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Archie McLeish konnte von Caleb dafür bezahlt worden sein, genau das zu tun! Er mußte wissen, daß er hinter ihm her war. Monk konnte in der Dunkelheit und dem Nebel auf dem Fluß über Bord gehen und mit der Ebbe aufs Meer hinausgetrieben werden; seine Leiche würde erst Tage später an Land gespült werden oder für immer verschwinden. Caleb Stone mochte zwar die Schuld daran tragen, aber niemand würde es beweisen können. Es wäre nur ein weiterer Unfall. Vielleicht würde Archie McLeish sogar behaupten, Monk habe sich selbst hineingestürzt.
Er umklammerte das Dollbord und war fest entschlossen, dem anderen im Ernstfall zumindest einen verdammt guten Kampf zu liefern. Archie McLeish würde mit ihm zusammen über Bord gehen.
Sie fuhren an zwei Kähnen vorüber, die in gleichmäßigem Tempo dahinglitten, dunkle Erhebungen im Nebel, Positionslichter gesetzt an Backbord und Steuerbord, Hunderte von Tonnen Fracht, die sie zu einem schwerfälligen Spielzeug der Wellen machten. Wenn sie einem dieser Boote in die Quere kamen, würden sie wie Streichhölzer zersplittert werden. Es gab keinen Laut außer dem Geräusch des Wassers, dem trostlosen Tuten eines Nebelhorns in der Ferne und hin und wieder ein paar lauten Stimmen.
Sie fuhren an einem Rahsegler vorbei, der vom Pool of London herunterkam; seine kahlen Spieren ragten über ihnen in den Nebel und erinnerten Monk an eine Reihe nebeneinander aufgebauter Galgen. Es wurde merklich kälter. Der rauhe Wind blies durch seinen Mantel, als wäre er aus dünner Baumwolle, und kühlte ihn aus bis auf die Knochen.
»Sie haben wohl Angst vor Caleb Stone, wie?« fragte Archie McLeish frohgemut.
»Nein«, fuhr Monk ihn an.
»Na ja, Sie sehen aber so aus.« Archie legte sich kräftig und mit seinem ganzen Gewicht in die Riemen. »Ich hab' das Gefühl, als würde ich einen Mann zum Henker rudern, wenn ich Sie so ansehe, wie Sie sich an meinem Boot festklammern - so als würde es wegschwimmen, wenn Sie es loslassen.«
Monk wurde klar, was für einen Anblick er bieten mußte, und rang sich ein Lächeln ab. Es könnte durchaus schlimmer sein.
»Sie werden ihn umbringen, was?« fragte Archie im Plauderton. »Das wäre sicher eine Möglichkeit. Dann hätten Sie wenigstens eine Leiche zum Vorzeigen. Ich schätze, niemand würde wissen, daß es nicht sein Bruder war. Ähnelten einander wie zwei Erbsen, heißt es.«
Monk lachte plötzlich auf. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht - aber
Weitere Kostenlose Bücher