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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und zupfte sein Halstuch zurecht, bis es perfekt saß. Dann griff er nach Umhang und Hut, trat hinaus und machte sich energischen Schritts auf die Suche nach einem Hansom, wobei er eine leise Melodie vor sich hinsummte.
    Natürlich würde er bei den Ravensbrooks wohl auch auf Hester treffen, aber das ließ sich nun einmal nicht vermeiden. Es war fast ausgeschlossen, daß er ihr über den Weg lief. Sie hielt sich bestimmt im Krankenzimmer auf, zu dem er keinen Zutritt hatte, nicht einmal, wenn er den Wunsch gehabt hätte, was ganz eindeutig nicht der Fall war.
    Er zog den Hut vor einer Frau, der er im Schein einer Straßenlaterne begegnete. Das Wissen, daß er Hester nicht treffen würde, erleichterte ihn sofort. Er wollte sich sein augenblickliches Glück nicht von ihren Kritteleien verderben lassen, von ihren ständigen Erinnerungen an den Schmerz und die Ungerechtigkeiten des Lebens. Sie war in jeder Hinsicht zu einseitig. Sie hatte kein Gefühl für das richtige Maß der Dinge. Das war ein Fehler, den viele Frauen aufwiesen. Sie nahmen die Dinge immer wörtlich und persönlich. Frauen wie Drusilla, die einen Blick für die Realitäten des Lebens hatten und dennoch den Mut aufbrachten zu lachen und sich mit vollendeter Anmut zu bewegen, waren wahrhaftig selten. Er konnte wirklich von Glück sagen, daß sie seine Gesellschaft offenbar genauso sehr genoß, wie er die ihre.
    Plötzlich beschleunigte er sein Tempo und ging mit weit ausholenden Schritten über das nasse Pflaster. Er wußte durchaus, daß Frauen ihn attraktiv fanden. Er brauchte nicht viel dafür zu tun; etwas in seiner Natur weckte ihr Interesse und ihre Faszination. Vielleicht war es eine Aura von Gefahr, von unterdrückten, unter der Oberfläche verborgenen Gefühlen. Es war nicht weiter wichtig. Er wußte einfach, daß es da war, und von Zeit zu Zeit hatte er sich irgendeinen kleinen Vorteil damit verschafft. Es voll auszunutzen wäre töricht gewesen. Das letzte, was er wollte, war eine Frau, die ihn verfolgte, die eine Romanze, ja möglicherweise sogar eine Ehe im Sinn hatte.
    Er konnte niemanden heiraten. Er hatte keine Ahnung, was während der letzten Jahre in seinem Leben geschehen war, und, was vielleicht noch beängstigender war, er kannte seinen eigenen Charakter nicht. Einmal hätte er in einem Anfall blinder Wut beinahe einen Mann getötet. Das wußte er sicher. Diese grauenvollen Augenblicke hatten sich in sein Gedächtnis eingebrannt, auch wenn sie kaum an die Oberfläche traten, sondern nur manchmal seine Träume störten.
    Die Tatsache, daß der Mann einer der schlimmsten Schurken gewesen war, die er je gekannt hatte, spielte letztlich keine Rolle. Es war nicht das Böse an diesem Mann, das er fürchtete. Er war jetzt tot, getötet von einem anderen. Es war die Dunkelheit in ihm selbst, die ihn beunruhigte.
    Aber von all dem wußte Drusilla nichts, was einen Teil ihres Reizes ausmachte.
    Hester wußte natürlich davon. Aber gerade heute abend wollte er nicht an sie denken, genausowenig wie an den Typhus und an die Qualen dieser Krankheit, die bittere Realität waren. Er würde Genevieve Stonefield erzählen, daß er heute einen beträchtlichen Schritt vorwärts gekommen sei, würde sich dann verabschieden und einen wunderbaren geistreichen und in jeder Hinsicht vollkommenen Abend mit Drusilla verbringen.
    Er trat vom Gehsteig auf die Fahrbahn und rief mit einer Stimme, die die Vorfreude auf die kommenden Stunden heller als gewöhnlich klingen ließ, eine Droschke herbei.

6
    Am nächsten Morgen erwachte Monk mit einem Lächeln auf den Lippen. Er stand früh auf. Der Februarmorgen war dunkel und windig, und auf den Pfützen in den Straßen hatte sich eine Frostschicht gebildet, aber er machte sich schon vor acht wieder auf den Weg ins East End und nach Blackwall Reach. Er wollte Caleb Stone finden und würde nicht eher ruhen, bis es ihm gelungen war, ob nun heute, morgen oder übermorgen. Wenn der Mann noch lebte, war er zu zornig, zu auffällig und zu gut bekannt, um einfach so zu verschwinden.
    Gegen neun erreichte er in dem spärlichen Tageslicht die Ufer von Blackwall Reach auf der Isle of Dogs. Diesmal hielt er sich nicht lange mit Pfandleihern und Straßenhändlern auf, sondern steuerte gleich die Orte an, an denen Caleb gegessen oder geschlafen haben konnte. Er versuchte es bei Pastetenverkäufern, in Bierhäusern und Tavernen, bei Vagabunden, die draußen in alten Kisten, ausgemusterten Segeln oder Planen schliefen, die sich aus

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