Sein Bruder Kain
des Flusses.
Monk öffnete den Mund, um zu fragen, wohin sie gingen, änderte dann aber seine Meinung. Es war sinnlos. Er zog seinen Kragen noch höher, schob sich den Hut in die Stirn, vergrub seine Hände in den Manteltaschen und trottete weiter. Der unwirtliche Nebel schmeckte nach Salz, Kanalisation und dem übelriechenden Wasser, das dort, wo die Flut nicht hinkam, in Senken und Tümpeln stand. Die Kälte drang ihm bis in die Knochen.
Endlich erreichten sie das Trockendock am äußersten Ende der Landspitze, und Archie hob warnend die Hand.
Monk nahm den Geruch von Holzrauch wahr.
Vor ihnen stand ein mit Segeltuch überdeckter Holzverschlag. Archie zeigte mit der Hand auf den Bau, trat beiseite, um auf die andere Seite hinüberzugehen, und verschwand dann in die Dunkelheit, die ihn fast auf der Stelle verschluckte.
Monk holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er hatte keine Waffe. Dann riß er die aus Holz und Segeltuch bestehende Tür auf.
Das Innere des Hauses maß etwa ein Dutzend Quadratmeter und war leer bis auf die Holzkisten, die sich an den Wänden stapelten. Nur die gegenüberliegende Wand, in der sich eine weitere Tür befand, war frei. Man konnte unmöglich sagen, was die Kisten enthielten. Aus einer Rolle Tauwerk war ein provisorischer Sitzplatz hergerichtet worden, aus ausgefasertem Hanf ein rohes Bett. In der Mitte der Hütte brannte ein Feuer und schickte Rauch und Flammen durch einen behelfsmäßigen Kamin. Es war angenehm warm nach der bitterkalten Nacht draußen, und Monk spürte, wie die Wärme sich in seinem Körper ausbreitete, noch während er den Mann, der neben dem Feuer hockte und mit seiner schwarzbehandschuhten Hand ein Stück Kohle wie eine Waffe umklammert hielt, näher betrachtete. Er war groß, kräftig gebaut und beweglich, aber es war sein Gesicht, das ganz besonders ins Auge fiel. Es war, als sei Enid Ravensbrooks Zeichnung zum Leben erwacht und doch wieder nicht. Die Knochenstruktur war die gleiche, der breite Kiefer und das spitze Kinn, die stark ausgeprägte Nase, die hohen Wangenknochen, ja sogar die grünen Augen. Aber das Fleisch des Gesichts war anders, die Lippen, die Linien, die von der Nase zu den Mundwinkeln liefen. Der Gesichtsausdruck war von Zorn und Spott geprägt und verriet in diesem Augenblick einen deutlichen Hang zur Gewalttätigkeit.
Es war unnötig zu fragen, ob er hier Caleb Stone gegenüberstand.
»Genevieve hat mich geschickt, damit ich nach Angus suche«, sagte Monk einfach, wobei er mit gestrafften Schultern im Eingang stehenblieb und ihn so versperrte.
Caleb stand ganz langsam auf.
»Sie suchen nach Angus, wie?« Er sagte das, als sei es gleichzeitig komisch und seltsam, aber er war offensichtlich darauf gefaßt, von einem Augenblick zum anderen eine plötzliche Bewegung machen zu müssen.
Monk beobachtete ihn und war sich dabei seines Gewichts und der Kohle in seiner Hand überdeutlich bewußt.
»Er ist nicht nach Hause gekommen…«
Caleb stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Nein wirklich! Und glaubt Genevieve, ich wüßte das nicht?«
»Sie glaubt, Sie wissen es sehr gut«, sagte Monk kühl. »Sie glaubt, daß Sie dafür verantwortlich sind.«
»Ich halte ihn hier fest, wie?« Calebs Lächeln war voller Spott, voller Zorn. »Wir stehlen und raufen überall hier am Fluß! Ist es das, was sie denkt?« Er spie Monk die Worte geradezu ins Gesicht. Es war merkwürdig, ihn so zu sehen, in so alten und schmutzigen Kleidern, die ihre Farbe ganz und ihre Form beinahe verloren hatten, und doch mit Lederhandschuhen. Sein Haar war gelockt und überlang, vom Schmutz verfilzt, und auf seinem Kinn wuchsen dunkle Bartstoppeln. Und doch kamen trotz seines Hasses seine Worte mit der Klarheit und der gepflegten Aussprache seiner Jugend und der Erziehung, die Milo Ravensbrook ihm hatte angedeihen lassen. Monk war sich trotz der Verachtung, die er für diesen Mann empfand, dessen zwiespältiger Natur bewußt, spürte förmlich, wie aus dem vielversprechenden Jugendlichen eine so gründlich gescheiterte Existenz geworden war. Hätte er Angus nicht getötet, hätte Monk Mitleid mit ihm haben können, hätte sogar ein verschwommenes, ein wenig verändertes Spiegelbild seiner selbst in ihm gesehen. Er verstand sowohl den Zorn als auch die Hilflosigkeit.
»Und haben Sie das?« fragte Monk. »Das hatte ich nicht erwartet. Ich dachte eigentlich, Sie hätten ihn getötet.«
»Ihn getötet.« Caleb lächelte und entblößte diesmal eine Reihe ebenmäßiger
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