Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
schon offen?«
»Ist ein ganz frisches«, sagte Lynne. »Sind vielleicht deine Kapseln. Du sagst doch immer, die schmecken wie eine verrostete Dose.«
Plötzlich riss Eve die Augen auf, die Runzeln in ihrem Gesicht verschwanden, und einen Moment lang wirkte sie ein wenig überrascht. Sie legte beide Hände auf den Tisch, packte die Decke, ließ sie wieder los, sank nach vorn zwischen den Tisch und den Rollstuhl. Tief aus ihrer Kehle löste sich ein eigenartiges Rasseln.
Wie eine steife Steppdecke, die sich langsam entfaltet, drehte sich Eve auf die Seite, würgte und versuchte, sich zu übergeben. Doch sie brachte nichts heraus, und währenddessen stieß sie wieder und wieder dieses entsetzliche Rasseln aus. Sie hob langsam und zitternd eine Hand, als wollte sie ihr Gesicht umklammern.
Dann sah sie Lynne mit ihren braunen Kuhaugen an, die sie vor Angst weit aufgerissen hatte. Lynne erwiderte den Blick, knabberte zart die Teighülle von ihrem Pilz und schaute zu, wie Speichel und schließlich Blut aus Eves Mundwinkel tropften und ihr Gesicht zuerst rosa und dann rot wurde. Im Weißen von Eves Augen wurden langsam dunkelrote Venen sichtbar wie bei einer wunderschönen Lilie, dachte Lynne, und Eves Zunge wurde zuerst steif, ehe sie sich entspannte. Dann hörte das Rasseln auf.
Lynne beugte sich vor und strich die Tischdecke glatt.
Sie hatte es endgültig satt, dass ihre Schwester immer so ein Chaos hinterlassen musste.
O’Hare tippte auf das Röntgenbild. »Ich hätte das Gehirn gar nicht röntgen müssen; die Narben sind so tief, ich konnte sie mit bloßem Auge erkennen – so deutlich wie die Adern bei dänischem Blauschimmelkäse. Und sehen Sie sich die an – chronologisch geordnete winzige Frakturen entlang des Ellbogens, als ob sie die Arme hochgenommen hätte, um sich zu schützen … das deutet auf Misshandlung in einer festen Beziehung hin«, sagte O’Hare. »Frances hat Frakturen an Ober- und Unterkiefer sowie drei am Schädel. Sie hat Zahnlücken, die nicht durch zahnärztliche Extraktion entstanden sind. Multiple Rippenbrüche, Frakturen durch Schläge, typische Merkmale häuslicher Misshandlung …«
Costello ließ den Kopf in die Hände sinken, weil sie sich plötzlich so müde fühlte.
Quinn drehte das letzte Foto in ihre Richtung. »Da überrascht es kaum, dass sie so viele Jahre unter Depressionen gelitten hat.«
»Seit sie das Kind verloren hat?«, fragte Costello.
»Seit sie das Kind und dann Rogan verloren hat. Da blieb ihr niemand mehr, den sie lieben konnte.«
»Lieben konnte?«, fragte Costello entgeistert.
»Geschlagen zu werden ist besser, als überhaupt nicht beachtet zu werden. Für manchen jedenfalls«, erwiderte Quinn trocken.
»Und warum, glauben Sie , hat Frances die Kinder mitgenommen?«, fragte Costello. »Nur weil sie welche wollte?«
O’Hare sagte scharf: »Ich möchte nur erneut betonen, sie hat ein Kind verloren. Als O’Neill jetzt nach zwanzig Jahren wieder aufgetaucht ist, würde ich annehmen, ist ihr wieder bewusst geworden, dass er der Vater des Kindes – und vielleicht sogar der Grund für dessen Tod – war. Da kam alles wieder nach oben und hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Und sehen Sie sich die beiden an; es waren schutzbedürftige Kinder mit überforderten Müttern, und sie hat auf die beiden aufgepasst, vielleicht so, wie sie es sich für ihr eigenes Kind gewünscht hätte.«
»Oder wie sie es für sich selbst gewünscht hätte«, meinte Costello und spürte, dass ihr die Tränen gefährlich locker in den Augen saßen. Sie erinnerte sich daran, wie Vik gesagt hatte: Ich möchte mich nur ein bisschen um sie kümmern, sie glücklich machen … Und sie wünschte im Nachhinein, sie wäre netter zu ihm gewesen.
»Sehr wahrscheinlich«, stimmte O’Hare zu.
»Aber woher wusste Frances, dass diese Kinder besonders gefährdet waren?«, fragte Quinn. »Meinen Sie, sie hat sich selbst in ihnen wiedergefunden?«
Costello lächelte schief. »Wahrscheinlich ist es im Krankenhaus passiert, darauf wette ich. Miss Cotter an der Teetheke mit ihren Empire-Biskuits. Miss Cotter hat sich um Frances gekümmert, als die ein kleines Kind war, genauso, wie sie sich um Troy gekümmert hat. Sie stand Frances immer noch nahe, die hat sie nämlich jede Woche besucht. Und es war auch Miss Cotter, die gekommen ist und sich nach ihr erkundigt hat. Sie ist ganz durcheinander und macht sich Vorwürfe, weil sie mit Fran über Alison und Lorraine geredet hat; sie haben alle
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