Sein letzter Burgunder
Nacht ermordet wurde? Er kann auch morgens getötet worden sein.«
Sie wiederholte ungerührt ihre Frage: »Wo waren Sie in der Nacht des Mordes?«
»Auf die so gestellte Frage antworte ich nicht. Zuletzt habe ich ihn im Casino gesehen.« Er nannte Frank Gatow und seine Frau als Zeugen. »Ich bin gegen ein Uhr ins Hotel gegangen, habe den Fahrstuhl bestiegen und bin sofort zu Bett gegangen.«
»Ein Herr Gatow steht nicht auf meiner Liste. Wer ist das?«
»Sehen Sie, das meine ich. Wenn ich Ihnen etwas sage, was nicht in Ihr Schema passt, dann steigen Sie aus. Frank Gatow gehört auch nicht zu den Juroren, nur seine Frau.«
»Auch eine Frau Gatow gibt es nicht.«
»Sie heißt Antonia Vanzetti.«
Erst als sie den Namen gefunden hatte, schien sie zufrieden. »Dann sind Sie der Mann, gegen den Amber gespielt und der so viel gewonnen hat?«
»Nein, ich habe das auch Herrn Heckler gegenüber richtiggestellt, oder es versucht. Roulette spielt man nicht gegen Personen, nur gegen die Bank oder das Glück.«
»Sind Sie Spieler?«
Henry lächelte. Der Gedanke gefiel ihm. In gewissem Sinne war er ein Spieler, er spielte mit dem Leben, er versuchte, es nicht allzu ernst zu nehmen, nicht unbedingt einem Plan zu folgen, und er warf ihn sofort um, wenn er begann, ihn einzuschränken. Das, was er für die deutsche Endsiegmentalität hielt, hatte er nie angenommen. Karriere zu machen war nie sein Ziel gewesen. Er tat, was er konnte, was ihm lag, wozu er Lust hatte, er nutzte Gelegenheiten, wusste mehr oder weniger genau, was er wollte und wie es zu bewerkstelligen war.
»In dem Sinne, in dem das Leben ein Glücksspiel ist, bin ich Spieler, aber ich bin nicht karten- oder automatensüchtig.Ich frequentiere auch keine Spielbanken, wenn Sie das meinen. Und ansonsten beschränkt sich meine kriminelle Energie auf die Übertretung der Geschwindigkeit.«
Die Idee mit dem Hacker verschwieg er besser. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte, dazu brauchte er ihr auch gar nicht in ihre ungläubigen braunen Augen zu blicken. »Ich kann Ihnen einiges über Alan Amber erzählen …«
»Ich will nichts über Amber wissen, sondern über Sie. Bisher weiß ich nur, dass Sie ständig ausweichen und nichts konkret beantworten.«
»Es gibt auch nichts Konkretes …« Henry sah sie an und dachte, dass sie es nicht verstehen würde. Andernfalls wäre sie nicht bei der Polizei, denn ein Sinn für Gerechtigkeit war nicht mit Ordnungsliebe verwandt. Die hätte er ihr zugetraut. Ordnung und Liebe – auf die Idee zu kommen, diese beiden Begriffe miteinander zu kombinieren, konnten nur Germanen kommen. Aber solange er hier gelebt hatte, war ihm das nicht aufgefallen. Es gab sogar ein Ordnungsamt. Dort achtete man sicher auf ein ordnungsgemäßes Praktizieren der Liebe.
»Herr Meyenbeeker!«
Das war ein Ordnungsruf. »Ja bitte?« Er hatte keine Lust zu dieser Befragung, sie langweilte ihn. Er wollte runter in den Speisesaal; wenn er Hunger hatte, war seine Laune sowieso miserabel, und dann musste er den letzten Flight hinter sich bringen und schlafen, sich mit Gatow/Vanzetti vielleicht kurz im Burda-Museum die Bilder und Installationen von Anselm Kiefer anschauen, Franks Fotos sichten und dann seine Verhöre diskret beginnen. Und um besser vorbereitet zu sein, musste er mehr über die Umstände des Mordes wissen, deshalb war die Strategie zu ändern. Aber wie?
»In welchem Verhältnis standen Sie zu dem Opfer?«
Henry seufzte. Das war schon wieder eine ungenaue Frage. »Ich stand in keinem Verhältnis zu dem Opfer. Ich weiß nur, dass er viele zu seinen Opfern gemacht hat, undkann mir denken, es wird immer wieder erwähnt, dass er gehasst wurde. Andere, die an seinen Bewertungen verdient haben, rollten den roten Teppich für ihn aus. Ob er korrupt war, wie es heißt, weiß ich nicht. Aber die Vermutung liegt nahe.«
»Was bringt Sie zu dem Schluss?«
Endlich mal eine Frage, die etwas mit dem Fall zu tun hat und sich auf etwas bezieht, was ich sage, dachte Henry. »Man kommt nur dorthin, was gemeinhin als ›oben‹ bezeichnet wird, wenn man gewisse Spielregeln einhält, und da gehört Korruption im weitesten Sinne dazu. Ich kannte Amber nicht persönlich, weiß aber von ihm, seit ich mich mit Wein befasse.«
»Wie lange ist das?«
»Vor elf Jahren habe ich begonnen, mich hauptberuflich mit Wein zu beschäftigen; bis vor einigen Jahren habe ich in Mainz gelebt und für eine dortige Zeitschrift gearbeitet. Davor war ich Reporter, kenne
Weitere Kostenlose Bücher