Sein letzter Fall - Fallet G
Überreste irgendwo in der Gegend von Kaalbringen in der Erde vergraben (oder ins Meer geworfen) – während der berühmte Kriminalhauptkommissar a.D. Van Veeteren hier in seinem warmen Auto saß und das Feld räumte? Sah die Geschichte tatsächlich so aus? Für einen allsehenden und allwissenden und leicht ironischen Gott.
Gute Gründe? Bullshit, wie gesagt.
Ich werde es nie herausbekommen, dachte er plötzlich. Ich werde nie erfahren, wie sich der Mord an Barbara Clarissa Hennan zugetragen hat oder was mit Maarten Verlangen fünfzehn Jahre später passiert ist.
Weder ich noch jemand anderes.
Das ist verdammt ärgerlich, aber so wird es kommen.
Hierbei hatte der Kriminalhauptkommissar a.D. Van Veeteren nicht ganz recht, aber es würde gut einen Sommer dauern, bis das zu Tage trat, und zu diesem Zeitpunkt hatte er schon lange vergessen, dass er irgendwann einmal die Hoffnung aufgegeben hatte.
2002
August – September
32
Die Leiche wurde am 24. August gefunden, und es war eine Pilzsucherin namens Jadwiga Tiller, die darauf stieß.
Es war ein schöner Spätsommertag. Frau Tiller war 75 Jahre alt und zusammen mit ihrem Ehemann Adrian in dem gemischten Laub- und Nadelwaldgürtel zwischen den Städten Hildeshejm und Wilgersee ein paar Kilometer östlich von Kaalbringen bereits seit dem Morgen unterwegs. Sie hatten ihr Auto an der üblichen Stelle bei der Holzfällerhütte an einem der vielen sich dahinschlängelnden Kieswege abgestellt, die durch den Wald zum Meer hin führten, und hatten innerhalb nur weniger Stunden fast zwei Körbe mit schönen Pilzen gefüllt, als Jadwiga Tiller mit Hilfe ihres guten Spürsinns (Pilze findet man durchs Riechen!, erklärte sie ihren Freundinnen Vera Felder und Grete Lauderwegs. Man findet sie mit der Nase, ich könnte einen Butterpilz finden, selbst wenn ich blind wäre!) – als sie also dank ihres guten Spürsinns zu einer kleinen Mulde mit jungen Buchen geführt wurde, und nachdem sie eine Weile in altem Laub und heruntergefallener Vorjahresrinde herumgetrampelt war, ohne etwas Essbares zu finden, entdeckte sie, dass dort ein Mensch lag.
Oder, besser gesagt, eine Leiche. Im Stadium weit fortgeschrittener Verwesung. Es schien nicht viel mehr als ein paar Kleiderreste und das Skelett von ihm übrig zu sein, und eine verwirrte Sekunde lang fragte sich Jadwiga Tiller, ob sie etwa diesem Geruch nachgegangen war. Dann verspürte sie ein schnell aufsteigendes Schwindelgefühl und war gezwungen, sich auf einen umgefallenen Baumstamm zu setzen, um sich zu sammeln.
Das dauerte ein paar Sekunden. Dann formte sie die Hände wie ein Sprachrohr vor dem Mund und rief: »Kolihoo! Kolihoo!« Das war das zwischen dem Ehepaar verabredete Signal beim Pilzesammeln, war es inzwischen seit mehr als dreißig Jahren, und ganz richtig hörte sie fast unmittelbar darauf Adrians »Kolihoo!« ganz in der Nähe.
»Kolihoo! Kolihoo!«, rief sie erneut. »Komm schnell her! Ich habe eine Leiche gefunden!«
Es knackte im Unterholz, und Adrian Tiller tauchte auf. Er folgte Jadwigas zitterndem Zeigefinger mit dem Blick und sah, was sie sah. Und obwohl er ein alter Soldat war und schon fast alles gesehen hatte, verspürte auch er eine leichte Übelkeit und den Wunsch, sich zu setzen. Er sank neben seiner Ehefrau nieder, nahm seine karierte Mütze ab und wischte sich die Stirn mit dem Hemdsärmel ab.
»Wir müssen die Polizei anrufen«, sagte er. »Jetzt ist es 15.35 Uhr.«
»Ich verstehe ja, dass wir das tun müssen«, antwortete sie. »Aber warum redest du jetzt davon, wie spät es ist?«
»Weil es immer wichtig ist, die richtige Uhrzeit zu wissen, wenn es um Polizeiermittlungen geht«, erklärte Adrian Tiller.
Als Inspektorin Beate Moerk abends in ihrem Arbeitszimmer auf dem Polizeirevier von Kaalbringen saß und zusammenzufassen versuchte, was sie nach den ersten hektischen Stunden bezüglich des Toten zusammengetragen hatten, war sie nicht der gleichen Meinung wie Herr Tiller, was die Bedeutung des Zeitpunkts des Leichenfunds betraf.
Dafür war die Leiche ein wenig zu alt.
Aber wie auch immer – es handelte sich eindeutig um einen Mann. Wahrscheinlich irgendwo zwischen sechzig und siebzig. Hundertachtzig Zentimeter groß, bei seinem Dahinscheiden in Jeans, abgetragene Seglerschuhe, ein einfaches Baumwollhemd und eine blaue Jeansjacke gekleidet. Sämtliche Kleidungsstücke natürlich ziemlich mitgenommen. Laut den äußerst vorläufigen gerichtsmedizinischen Befunden war er seit vier bis sechs
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