Sein letzter Fall - Fallet G
Steinbutt, hatten sie den nicht gehabt? Und ein Sauterneswein wahrscheinlich…
Vor dem Antiquariat. Vor Ulrike. Vor Erichs Tod.
Seitdem ist nicht einmal ein Jahrzehnt vergangen, dachte er. Und dennoch hat sich mein Leben in einem unglaublichen Maße verändert. Das hätte ich damals nie gedacht.
Bausen räusperte sich, und Van Veeteren kehrte in die Gegenwart zurück.
»Nun ja«, sagte er. »Verlangen ist wahrscheinlich hier gewesen, zumindest für ein paar Stunden, aber ich fürchte, weiter werden wir nicht kommen. Darf ich jetzt diese Zusammenkunft hier als einen Vergnügungstrip betrachten?«
»Einspruch«, sagte Bausen. »Warum sich auf Entweder-Oder beschränken, wenn man auch Sowohl-Als-auch haben kann? Ich nehme doch an, dass nach dem Kerl gesucht wird, und außerdem gehe ich davon aus, dass ihr bei der Polizei auch in Zukunft Augen und Ohren offen haltet.«
Es schien eine gewisse Ironie in dieser Vermutung zu liegen, und Beate Moerk lächelte, um zu zeigen, dass sie das verstanden hatte.
»Die Augen des gesamten Teams stehen weit offen«, versicherte sie. »Wenn wir auch nur die geringste Spur von Verlangen finden… oder von Jaan G. Hennan… so verspreche ich, dass wir umgehend von uns hören lassen. Bei der Kripo Maardam, oder…?«
»Nicht so ganz«, meinte Van Veeteren nur und holte seine Karte heraus. »Ich denke, fürs Erste reicht es mit Krantzes Antiquariat. Diskretion Ehrensache, wie man so sagt.«
»Ich verstehe«, sagte Beate Moerk und nahm die Karte entgegen. »Aber wenn ich ehrlich bin, dann werde ich langsam ein wenig hungrig. Ich dachte, zu der Verabredung gehörte auch ein Happen zu essen?«
»Ganz recht«, sagte Bausen. »Alles zu seiner Zeit, jetzt essen wir.«
Auf der Heimfahrt lauschte er Pergolesi und dachte über seine Memoiren nach.
Oder besser gesagt darüber, warum er sie abgebrochen hatte.
Wenn man alles in Betracht zog, dann war es nicht der Fall G. – wie er sich gern vormachte und womit er sich entschuldigte –, der das Projekt ins Stocken gebracht hatte. Natürlich nicht. Er fiel nur in die gleiche Zeit, und er brauchte eine Ausrede.
Tatsächlich war es so, dass ihn das Bedürfnis, alles zu dokumentieren, selbst verlassen hatte. Das Bedürfnis, sich auf irgendeine Weise zu artikulieren und dreißig Jahre Arbeit als Polizeibeamter in Worte zu fassen… das Gefühl, etwas müsste gerechtfertigt werden.
Wie Fotos eines missglückten Urlaubs, hatte er gedacht, eine Art rückwirkende Authentizität, bei der es einem nicht gelungen war, den Tag und das Jetzt einzufangen, und deshalb die Dokumentation das Erlebnis ersetzen musste.
Im Guten wie im Schlechten natürlich. Zum Glück war es immer noch möglich, wunderbare Poesie aus den schlimmsten Fehlschlägen zu machen!, hatte Mahler ihm einmal anvertraut, und wahrscheinlich gab es in seinem Memoirenprojekt eine Art Parallele dazu… aber er hatte ihn, wie gesagt, verlassen, dieser dunkle Trieb, seine Taten gedruckt sehen zu wollen – und natürlich war Ulrike auch hierbei der springende Punkt gewesen. Wie bei so vielem anderem.
Die Worte aus dem Korintherbrief kamen ihm wieder in den Sinn, und er fragte sich, wie wohl sein Leben jetzt aussähe, wenn nicht Ulrike aufgetaucht wäre.
Wenn
und
wenn nicht
… auch darüber zu spekulieren war natürlich sinnlos, und bald wurde er es leid, Wege durch diesen alternativen Sumpf zu suchen. Das Leben war so geworden, wie es nun einmal war, und wenn es ein Gefühl gab, das er jetzt empfinden sollte, dann war es wahrscheinlich doch Dankbarkeit. Trotz allem.
Die Jahre der Gnade?
Er verließ die Fiktionen und versuchte, stattdessen ein paar Gedanken den so genannten Realitäten zu widmen – sowohl Maarten Verlangen als auch Jaan G. Hennan.
Was wusste er?
Nichts, wenn man ganz ehrlich war.
Was glaubte er dann?
Oder
was zu glauben hatte er gute Gründe
? Da war es vermutlich besser, mit einem entsprechend scharfen Rasiermesser vorzugehen.
Er überlegte eine Weile, tauschte dann Pergolesi gegen Bruckner.
Etwas war passiert.
Unbestritten, wie es hieß.
Verlangen war etwas auf der Spur gewesen. Er war dem Feuer zu nahe gekommen und hatte sich verbrannt.
Hatte sich nicht nur verbrannt, war verbrannt worden.
War getötet worden.
Von G.?
Genau das bildete er sich ein, seit die Tochter ins Antiquariat gekommen und ihm ihre Geschichte erzählt hatte. Aber hatte er wirklich gute Gründe, das zu glauben?
Überhaupt einen Grund?
Lagen tatsächlich Maarten Verlangens
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