Sein letzter Fall - Fallet G
als sie eines regnerischen Februartags bei ihren Eltern in deren Fabrikantenvilla in der Walmaarstraat mit Eddie jr. an der Hand auftauchte, erklärte sie unumwunden, dass sie den ganzen Mist leid sei und nun plane, sich für alle Zeiten in Kaalbringen niederzulassen und einen Roman zu schreiben. Da deren zweites Kind, Geraldines zwei Jahre jüngerer Bruder Maximilian (doch, ja, sie hießen wirklich so: Geraldine und Maximilian, beteuerte Beate Moerk, wahrscheinlich hatte das etwas mit den Ambitionen der Eltern zu tun) – da nun dieser Bruder während ihrer Abwesenheit an seiner angeborenen Leukämie verstorben war, nahmen die Eltern (zumindest die Mutter) die verlorene Tochter und ihren Enkelsohn mit offenen Armen auf. Geraldine ließ sich in einem Flügel der Villa nieder und begann, ihren Roman zu schreiben, und als die ältere Generation zwanzig Jahre später verstarb (einer nach dem anderen innerhalb von nur acht Monaten), war sie immer noch mit diesem Projekt beschäftigt.
Als Geraldine fünfzig wurde, entdeckte sie, dass sie kein Geld mehr hatte, verkaufte das Elternhaus, heiratete einen abenteuerlichen Klempner namens Andrej Szczok und eröffnete oben an dem Hang einige Kilometer östlich von Kaalbringen den Caravanplatz. Andrej verschwand einige Jahre später unter romantischen Umständen mit einer Zigeunerin, Geraldine kaufte sich einen außergewöhnlich gut ausgestatteten Wohnwagen, um über den Schicksalsschlag hinwegzukommen, und ließ sich endgültig auf dem Campingplatz nieder. Soweit Beate Moerk verstanden hatte, musste das irgendwann Anfang der Neunziger gewesen sein.
»Klingt wie eine ziemlich sonderbare Dame«, kommentierte Polizeianwärter Stiller. »Und wie ist es mit dem Roman gelaufen?«
»Der ist immer noch nicht fertig«, erklärte Beate Moerk. »Aber auf jeden Fall sollten wir die Sache vorsichtig angehen. Es heißt, sie könne ziemlich launisch sein.«
»Das kann ich mir denken«, nickte Stiller und sah dabei etwas besorgt aus.
Geraldine Szczok machte ihrem Ruf alle Ehre.
Sie war eine große, schwere Frau, gekleidet in eine unbekannte Anzahl bunter Stoffschichten, mit Gesundheitssandalen, einer kleinen Baskenmütze und einer goldfarbenen, zwanzig Zentimeter langen Zigarettenspitze ausgestattet. Wenn Beate Moerk richtig unterrichtet war, musste sie so ungefähr um die fünfundsechzig sein, und man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie in zehn oder zwanzig Jahren einen Platz in einer Art Altersheim oder einer ähnlichen staatlichen Institution finden würde. Sehr schwer.
Ansonsten sah der Campingplatz gut gepflegt aus. Rund zehn Wohnwagen verschiedenster Fabrikate und Formen standen auf einem sanft abfallenden Gelände, das an ein kleines Stück Mischwald grenzte, der sich bis ans Meeresufer und an den Strand fortsetzte, verstreut herum. Die meisten der Wohnwagen schienen bewohnt zu sein, Leute in Trainingsanzügen spielten Volleyball und Badminton, standen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich zu Transistorradiomusik oder saßen da und genossen die Nachmittagssonne bei Zeitung, Bier und Kaffee. Ein paar Hunde jagten einander, und einige Kinder im Vorschulalter waren damit beschäftigt, ein Fahrrad nach besten Kräften zu demontieren. Hinten am Waldrand stand ein dunkelhäutiger Mann und führte Tai-chi-Übungen aus. Ein durch und durch friedliches Bild, wie Beate Moerk fand. Hatte irgendwas von Lebensqualität an sich.
Der Wohnwagen der Campingplatzbesitzerin selbst war blau und kanariengelb, doppelt so groß wie der nächstkleinere, versehen mit Fernsehantenne und Satellitenschüssel sowie einem Schild mit dem Wort »Rezeption« in Neongrün.
Vor dieser Schöpfung saß Geraldine Szczok höchstpersönlich in einem Liegestuhl – mit einem Glas Bier auf dem Tisch und einer zehn Kilo schweren Katze auf dem Schoß.
»Seid gegrüßt«, sagte sie, ohne aufzustehen oder irgendwelche anderen Energie zehrenden Gebärden zu machen. »Sie kommen sicher von der Gendarmerie, wie ich mir denken kann. Setzen Sie sich doch!«
Sie nahm die Zigarettenspitze aus dem Mund und zeigte auf ein paar deutlich einfachere Sitzmöbel. Moerk und Stiller setzten sich jeweils auf eines.
»Ganz richtig«, bestätigte Beate Moerk. »Ein hübsches Plätzchen haben Sie hier oben.«
»Hübsch?«, wiederholte Geraldine Szczok. »Sie sind in die Freie Republik gekommen, das sollten Sie sich gleich mal klarmachen.«
»Interessant«, sagte Polizeianwärter Stiller und schaute sich vorsichtig um.
»Wie
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